Spargelschäler

Dienstag, 10. Mai 2011

An der Schwelle zum Spargelschäler

Markiert das 25. Lebensjahr so etwas wie eine magische Grenze? Mit Mitte zwanzig steht man an der Schwelle zum Erwachsensein. Die Adoleszenz hat man hinter sich gelassen und auf die Teenagerjahre blickt man bereits mit diesem gutmütigen, leicht verklärten Blick, der so typisch ist fürs nostalgische Schwelgen. Mit 25 sieht man gewisse Dinge klarer, weiss genauer, was man will und worauf man verzichten kann. Das ist gut. Ich bin eine Befürworterin des Wandels. Doch es gibt auch Momente, in denen mich die Endlichkeit von Lebensphasen nachdenklich stimmt. Dann nämlich, wenn ich in der Stadt zufällig einem ehemaligen Weggefährten, einer ehemaligen Weggefährtin begegne. Es ist noch gar nicht lange her, da sind wir zusammen in der Schulbank gesessen und haben aufgeregt Liebesneuigkeiten ausgetauscht oder bei einem Feierabendbier über das Leben philosophiert, zusammen gelacht, zusammen geweint. Wir dachten, die Welt läge uns zu Füssen, und wir haben Anteil genommen am Leben des anderen. Und jetzt steht man sich gegenüber, und die Abgründe, die sich auftun, machen beide sprachlos. Wann ist es eigentlich passiert, wann ist der Moment gekommen, an dem wir uns nichts mehr zu sagen hatten? Neuerdings bemerke ich manchmal gegenüber meinen Freundinnen, dass wir nun in einem Alter seien, in dem wir die Jacken an der Garderobe aufhängen müssten. Der Kommentar bringt uns zum Lachen; doch wir müssen aufpassen, dass uns dieses Lachen nicht im Hals stecken bleibt. Manchmal hänge ich meine Jacke dann tatsächlich am Garderobenhaken auf und werfe sie nicht mehr in die nächste Ecke wie früher. Und das ist längst nicht alles, was sich verändert hat. Wir alle sind neue Bindungen eingegangen, haben neue Allianzen geschlossen. Doch während meine Freunde und ich unseren Lebensunterhalt auch weiterhin mit schlecht bezahlten Jobs bestreiten, in Erst- oder Zweitausbildungen stecken oder vom künstlerischen Durchbruch träumen, uns mit Beziehungsproblemen herumschlagen, Single-Depressionen kultivieren oder in undefinierten Beziehungen stecken, haben unsere «alten» Freunde bereits richtige Jobs und richtige Einkommen, sind in Häuser gezogen, feiern Hochzeiten, denken ans Kinderkriegen. Schon längst haben sie sich einen Spargelschäler und den dazu gehörenden Spargeltopf angeschafft, um auch das alljährliche Spargelschlemmen nicht mehr der Kunst der Improvisation überlassen zu müssen. Ja, auch ich möchte aufhören zu werden und anfangen zu sein. Es fragt sich nur, zu welchem Preis.

Meistens verändern sich Menschen dann am meisten, wenn sie eine feste Bindung eingehen. Die Partnerwahl ist eine so einschneidende Begebenheit, dass Menschen aufhören, so zu sein wie sie gerne wären und anfangen zu sein, wie sie wirklich sind. Von uneigentlichen Lebensinhalten wenden sie sich ab. Gleichzeitig mit ihrem Gegenstück haben sie auch sich selbst gefunden. Doch kaum widerfährt ihnen das Unvermeidliche und sie treffen auf jemanden, mit dem sie über eine gemeinsame Zukunft nachdenken, lassen sie ihr altes Leben nur allzu bereitwillig hinter sich. War das ganze «vorher» reiner Zeitvertreib, ein lästiger Umweg, den man noch nehmen musste, bevor man in die Zielgerade kommt? Muss es sie nicht nachdenklich stimmen, dass sie dem Leben vor dem grossen Erdbeben plötzlich keine Träne mehr nachweinen?

Da tut es besonders gut, in einer gemütlichen Kneipe die «richtigen» Freunde zu treffen, jene, die mit dir den Schritt in die nächste Lebensphase gemacht haben. Wenn es sein muss, wirst du ihnen sogar eigenhändig den Mantel abnehmen und ihn an der Garderobe aufhängen. Hauptsache, sie bleiben an deiner Seite. Es spricht für die Qualität unserer Freundschaft, dass sie Bestand hat – allen emotionalen Erdbeben zum Trotz. Ich schaue in ihre lachenden Gesichter und danke ihnen leise dafür, dass auch sie sich – genau wie ich - noch nicht endgültig entschieden haben, wer sie sind und was sie vom Leben erwarten. Es ist unsere Aufgabe, das herauszufinden. Aber dafür bleibt auch morgen noch genügend Zeit. Der heutige Abend gehört nur uns. Lasst ihn uns feiern, bis die Tischbeine wackeln.

Freitag, 8. Mai 2009

Die Arbeit am Feintuning

Speisen_Salami
Gestern habe ich über Kategorien nachgedacht. Ich bin schon lange Vegetarierin, nicht aus tierschützerischen Gründen, sondern weil ich den Geschmack von Fleisch nicht mag. Für Bratwüste, – noch besser: Currywürste – hegte ich allerdings schon immer eine heimliche Vorliebe. Eine Leidenschaft, die ich aus Glaubwürdigkeitsgründen lange unterdrückt hielt. Schliesslich war ich doch Vegetarierin! Über Jahre hinweg fand also kein einziges Nahrungsmittel aus Tierdärmen den Weg in meinen Verdauungstrakt. Vor nicht allzu langer Zeit war dann für mich der Zeitpunkt gekommen, um meinem selbst auferlegten Wurst-Embargo ein Ende zu setzen. Seither stehe ich uneingeschränkt hinter meiner Leidenschaft für Wurstwaren. Ein Befreiungsschlag! Nun erzähle ich jedem, der es hören will, dass ich eine Würste essende Vegetarierin bin. Die meisten Reaktionen darauf sind belustigt-empört, «ausgerechnet Würste!», ist der meistgehörte Ausspruch, den ich mir anhören muss. Doch niemand käme ernsthaft auf die Idee, mich für unglaubwürdig zu erklären. Ist es nicht ein eigentliches Merkmal des Erwachsenswerdens, dass wir fähig werden, unsere selbst auferlegten Fesseln zu sprengen? Gelingt es uns erst mit einer gewissen Reife, auch vermeintliche Widersprüche in unser Selbstbild zu integrieren?

Als Teenager, auf der Suche nach einer eigenen Identität, denken wir in sehr ausschliesslichen Kategorien. Vom Kleidergeschmack über die Musikvorliebe bis zum Menschen an unserer Seite muss das Bild «stimmig» sein, passend zu der Subkultur, der wir angehören. In der unbeschreiblich grossen Auswahl an Möglichkeiten, zu was für Menschen wir werden könnten, bieten Kategorien eine erste Orientierung. Sie verraten uns ganz grundsätzliche Dinge über unsere Vorlieben und Abneigungen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Ehrlichkeit gegenüber sich selbst. Nur wer konsequent diesem ganz spezifischen «Ich-Gefühl» folgt und ihm Glauben schenkt, kommt sich einen Schritt näher. Auf diese Erfahrungswerte können wir dann später aufbauen. Da hat es die Bedeutung einer Zeitenwende, wenn wir uns von diesen ausschliesslichen Kategorien verabschieden und zum Feintuning übergehen können. Die Kategorien haben uns grossen Dienst erwiesen, doch nun können wir uns von ihnen verabschieden, weil sie überflüssig geworden sind. Das ist dann der Zeitpunkt, an dem wir das Wurstessen wieder aufnehmen. Oder wieder mit dem Volleyball spielen anfangen, obwohl wir es in Teenagerjahren für uncool hielten. Manche finden den Weg zurück auf den Klavierhocker oder in die Kirche. Die Arbeit am Feintuning beinhaltet aber auch, Dinge zu sagen, wie kürzlich meine Freundin Eremita: «Ich stehe auf lautmalerische Ausdrücke in Gedichten.» Oder: «Mein Hobby ist es, auf meinem Nachhauseweg Telefongespräche zu führen.» Es ist die Arbeit am Detail, die Suche nach den ganz spezifischen Vorlieben, die Geschmack und Stil vielleicht letztendlich sogar ausmachen.

Im Alltag reicht die Zeit für Nuancen allerdings meistens nicht. So sage ich Fremden gegenüber auch weiterhin, dass ich Vegetarierin bin, obwohl das genau genommen nicht mehr stimmt, und auch das Label der Nichtraucherin hefte ich mir an, obschon ich dem Genussrauchen nicht abgeneigt bin. Erst wenn mit einem Menschen eine gewisse Vertrauensbasis erreicht ist, zeigen wir uns mit all unseren Facetten. Vielleicht erkennen wir einen Menschen nur dann wirklich, wenn wir ihn in all seinen Facetten begriffen haben. Und spätestens dann wird es für uns unmöglich, ihn mit einer Kategorie abzuspeisen. Genauso wie es mittlerweile auch für uns selbst unmöglich geworden ist, uns selbst in eine Kategorie zu quetschen. Dafür sind sie einfach zu eng, diese Schubladen. Meine Persönlichkeit hat keinen Platz mehr darin.

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Chalid al-Chamissi
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