Donnerstag, 21. Juni 2007

Die Kraft der Tränen: Ein Plädoyer fürs Weinen

Abermillionen von Tränen habe ich schon geweint in meinem Leben! Nicht, dass mein Leben bisher besonders tragisch verlaufen wäre - aber gibt es nicht bei jedem Einzelnen von uns so vieles zu beweinen? Das Sterben einer Idee, die sich nicht in die Tat umsetzen lässt, Erwartungen, die sich nicht erfüllen, liebe Menschen, die sich einem entfremden….jeder dieser Vorfälle fühlt sich in unserer Innenwelt an wie ein kleiner Tod. Und die deutlichste Sprache, derer unsere Seele mächtig ist, sind Tränen. Tränen: ein Gemisch aus Salz, Wasser, Eiweiss und Fett. Bis zu 80 Liter Tränen vergisst ein Mensch durchschnittlich in seinem Leben - eine ganze Badewanne voll. Das macht vier Millionen Tränen für jeden von uns.

Weinen ist in einem Menschenleben sozusagen konstitutiv, denn es ist die erste Aktivität eines jeden Neugeborenen. Auf dieser Welt ist wohl noch kein Baby lebendig zur Welt gekommen, das nicht geweint hätte. Man kann das jetzt pessimistisch sehen und sagen: Wir weinen von Stunden null an, aber das Lachen lernen wir erst mit drei Monaten. Man kann es aber auch umdrehen und sagen: Weinen ist das erste Zeichen für unsere Lebendigkeit. Ein Baby, das nicht weint, ist tot geboren. Tränen sind das Symbol für unsere Lebenskraft und unser Lebenswillen. Denn: wer weinen kann, ist seelisch gesund. Der Volksmund sagt: «Lachen ist gesund», doch weinen muss noch viel gesünder sein. Es reinigt innerlich und äusserlich, ein Waschgang inklusive Schleuderprogramm.
Mit den Tränen wird Stress abgebaut, man fühlt sich leichter, geläutert aber wieder auf dem Weg zurück ins Leben. Nicht geweinte Tränen jedoch bilden einen grossen Klumpen in der Herzgegend.

Im gesellschaftlichen Kontext gilt weinen als Schwäche, als ein Eingeständnis von Hilflosigkeit. Doch wenn man genauer hinschaut, werden mit weinen unglaublich viel Kräfte frei gesetzt.
Der magische Moment ergibt nach dem Weinen, wenn die Abstände zwischen den Schluchzern grösser werden und die Tränen langsam verebben. Die Anstrengung des Weinens verursacht körperliche Erschöpfung, gleichzeitig wird man aufmerksam auf das, was da tief in seinem Innern gerade neu geboren wird. Die extreme Körperwahrnehmung des Weinens hat einen wachsam werden lassen auf die eigenen Empfindungen. Das hilft, die einzelnen Gefühlsstränge voneinander zu unterscheiden. Es ist die innere Kraft, die sich plötzlich ganz deutlich von den anderen Gefühlsfetzen abzuheben beginnt. Plötzlich fühlt man sich selbst ganz nah. Und unglaublich stark, von innen her.

Es gehört zu einer Frau, sich zu erneuern wie sich eine Schlange häutet. Biologisch gesehen macht sie es jeden Monat mit ihrer Periode. Auch das Einkaufen ist eine Art, sich selbst neu erfinden. Dasselbe Prinzip gilt auch fürs Weinen: Nach einem Weinkrampf ist die Welt eine andere. Man macht sich leer, um sich zu erneuern. Nach der Läuterung folgt die Rückbesinnung auf die Kraft der inneren Stärke. Das – und nur das – macht das Weinen zu einem weiblichen Attribut.

19.05.2007

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