Im Meersäuli-Himmel
Das hier ist eine Beichte. Ich habe nämlich ein Meerschweinchen auf dem Gewissen. Obwohl ich als Zehnjährige meinem «Wuschi» – so der Name meines Meersäulis selig – immer frischen Löwenzahn kredenzt und ihm regelmässig die Krallen geschnitten habe, obwohl ich brav einmal pro Woche das Sägemehl ausgewechselt und die Wasserflasche nachgefüllt habe, obwohl ich besten Wissen und Gewissens gehandelt habe – dieses Tierchen hatte es nicht schön bei mir. In diesen Tagen konnte man nämlich in der Presse lesen, was mein Kinderherz schon damals intuitiv ahnte: Meerschweinchen werden depressiv, wenn sie alleine gehalten werden. Deshalb hat «Wuschi» also immer so todtraurig aus seinen schwarzen Knopfaugen geguckt! Seine Grundbedürfnisse waren befriedigt, und dennoch war er todunglücklich. Weil er sich nach Artgenossen verzehrt hat. Wenn Wuschi wüsste, wie gut ich das nachvollziehen kann. Tatsächlich entbehrt es nicht jeder Ironie, dass ausgerechnet ich, die menschliche Wärme sosehr schätzt und nötig hat, ein anderes Rudeltier zur Einsiedelei gezwungen habe. Ja, ja, ich war doch nur ein Kind. Aber taugt das wirklich als Entschuldigung? Ich bin mir fast sicher, dass das Karma meines Meersäulis mir eines Tages eine gerechte Strafe zukommen lassen wird. Und ich habe nichts anderes verdient. Möge «Wuschis» Seele in Frieden ruhn und im Meersäuli-Himmel mit seinen Artgenossen tanzen.
Eduschka - 2. Jun, 16:51