Pantoffelheldin

Mittwoch, 3. Juni 2009

Bis auf den letzten Krümel

In meinen schwachen Momenten kann ich so dermassen gefrässig sein, dass es jeden beschämen muss, der in meine Nähe kommt. Stumme Zeugin dieser Tatsache war für einmal glücklicherweise nur ich selbst. Es war Sonntag und ich arbeitete. Nach Feierabend schlenderte ich ein bisschen herum und geriet dabei in so eine richtig schöne sonntagnachmittägliche „Kaffee- und Kuchen-Stimmung“. Ich beschloss, mir zur Feier des Tages im „Starbucks“ einen dieser leckeren, aber sündhaft teuren „Chai Latte“ auszugeben. Ich zahlte am Tresen und bahnte mir mit meinem dampfenden Becher einen Weg durch das überfüllte Café, um mich an einem der kleinen Bistro-Tischchen niederzulassen. Auf der Tischplatte türmten sich noch die Abfälle der vorherigen Gäste. Dies störte mich jedoch nicht weiter, ich nahm mein Buch heraus und vertiefte mich. Bis ich den Kopf einmal kurz anhob und mein Blick zufällig auf die Papiertüte meiner Vorgänger fiel. Ich schob das Papier etwas zu Seite und linste schüchtern hinein – wo ich einen riesigen, fettigen, mit Zucker bestreuten Schokobrownie erspähte – oder besser gesagt eine Hälfte davon. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Ich betrachtete mein Becher, noch bis zu zwei Dritteln gefüllt, und begann abzuwägen.

Noch zögerte ich. Ich haderte mit mir. Schalt mich, dass man ein Kind ausschimpfen würde, wenn…. Ich dachte sogar an den Witz des Arbeitskollegen vom Vortag: „Ich erlaube dir, aus meiner Flasche zu trinken – aber ich habe Hepatitis A, B und C.“ Und dann tat ich es doch. Ich langte in die Tüte und liess mir den schokoladigen, süssen, fettigen Brownie auf der Zunge zergehen. Der Genuss war zwar nicht ganz unbeschwert, denn ich kämpfte mit der Paranoia, die in Wellen von mir Besitz ergriff. Ich fürchtete, die ursprünglichen Besitzer des Brownies würden zurückkommen und Ansprüche auf die zweite Hälfte erheben. Was würde ich ihnen sagen? Wie um alles in der Welt würde ich ihnen das erklären? Ich atmete erleichtert auf, als ich den Brownie bis auf den letzten Krümel verdrückt hatte. Ich putze mir mit der Serviette den Schweiss von der Stirn und die Krümel aus dem Mundwinkel und dachte erleichtert: „Nun kann mir niemand mehr etwas nachweisen“ Den Moment eines Schmetterlingflügelschlags lang schämte ich mich. Bis ich mich mit dem Gedanken darüber hinwegtröstete, dass es schliesslich auch Menschen gibt, die Katzenfutter f.. essen.

Dienstag, 2. Juni 2009

Abkehr von der modernen Kunst

Es gibt Bücher, die sind wie Leuchttürme. Wie ein besonders strahlender Stern stehen sie am Himmel und weisen uns die Richtung. Wie eine Kerze in einem dunklen Raum erzeugen sie das Licht der Erkenntnis, dem die Dunkelheit weichen muss. Dann denken wir, dass es unmöglich Zufall gewesen sein kann, dass dieses Buch ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt den Weg in unser Leben gefunden hat. Es bereichert uns genau da, wo wir es gerade nötig haben, wie ein Puzzleteil fügt sich plötzlich eines zum anderen. Ein solches Buch repräsentiert nicht nur uns selbst, es repräsentiert einen ganzen Lebensabschnitt. Mit 14 haben wir gemeinsam mit den Heldinnen aus den Romanen von Federica de Cescos die Welt erobert, mit 17 lasen wir «Die Leiden des jungen Werthers» von Johann Wolfgang von Goethe und schliefen in der Folge ein Jahr lang mit einer Kopie des Werthers unter dem Kopfkissen. Mit 20 entdeckten wir die Bücher von Hermann Hesse, und während wir bei «Siddartha» noch in einer tiefen Sinnkrise steckten, versetzte uns der «Steppenwolf» in den ultimativen Rauschzustand. Sehen wir dann Jahre später eines dieser für unsere persönliche Entwicklung wichtige Buch zufällig in der Buchhandlung wieder, berühren wir es andächtig mit der Fingerspitze und geben ihm ein bisschen von der Liebe wieder, die es in uns ausgelöst hat.

Manche Bücher, die uns berührt haben, kommen uns auch abhanden. Bei mir ist es ein Kinderbuch namens «Unser Fränzi», das vergriffen ist und das ich schon seit Jahren auf Bücherflohmärkten und in Buchantiquariaten suche wie die berühmte Nadel im Heuhaufen. Bis zu jenem Tag, an dem ich nichtsahnend in die Winterthurer Kunsthalle spaziere und es entdecke, mein Buch: Mit einem riesigen Nagel als Teil einer Kunstinstallation in die Wand gehämmert! Ich habe eine Weile gebraucht, um mich von diesem Schock zu erholen. Bücher sind doch wie Freunde, und erst recht Bücher, die man geliebt hat! Sie sind wie verflossene Liebhaber, wie erste Sandkastenfreunde... In meiner Verzweiflung habe ich noch wie eine Verrückte am Buch herumgenestelt, um wenigstens herauszufinden, ob es sich auch wirklich um «mein» Buch handelt, doch es war ein hoffnungsloses Unterfangen. Der Nagel steckte zu tief im Fleisch des Buches. Gleichzeitig hatte sich ein ebenso langer Nagel direkt in mein Herz gebohrt. Pfui, moderne Kunst, pfui!

Montag, 30. März 2009

Pantoffelheldin: Chillen oder Parikrama?

Meine Hobbys sind Matrosenpostkarten sammeln, Fähren fahren und nachdenken. Ja, ich würde Denkarbeit tatsächlich als eine meiner Lieblingstätigkeiten bezeichnen. Doch auch wer keine heimliche Leidenschaft dafür hegt: Nachdenken ist ein fundamentales Bedürfnis des Menschen. Eine Frau, die ich kenne, muss zum Nachdenken unbedingt liegen. Wenn Mutti also wieder einmal flach auf dem Sofa liegt, spüren die Kinder intuitiv, dass jetzt ein ganz schlechter Moment ist für die geplante Papierfliegerattacke. Ich hingegen kann am Besten nachdenken, wenn ich in Bewegung bin. Auch der Philosoph Nietzsche soll einst gesagt haben: «Nur die ergangenen Gedanken haben wert.»

Ich wette, selbst Goethe hat auf der Suche nach der richtigen Formulierung ganze Wälder durchstreift! Sein ständiger Begleiter müsste demnach ein Spazierstock mit geschnitztem Löwenkopfknauf gewesen sein – jedenfalls finde ich Gefallen an dieser Vorstellung. Dichter sind doch die geborenen Spaziergänger. In der freien Natur können wir den Kopf frei machen, leer werden. Doch nicht nur das. Meistens nehmen wir einen Weg unter die Füsse, weil wir einen Weg in uns selbst zurücklegen möchten. Dieses Wissen ist uralt, bereits den christlichen Pilgern im Mittelalter ging es auf dem Jakobsweg genau darum. Sie sehnten sich nach Einkehr, was sie sich davon versprachen, war die Nähe zu Gott. Interessant dabei finde ich, dass eine Freundin von mir als Christin gerne von A nach B marschiert. Wie die Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela. Ich hingegen bewege mich lieber in einer Runde. So «umkreise» ich also das kleine Dorf, in dem ich lebe, auf einer bestimmten Route, wenn ich nachdenken möchte. Ich komme wieder an den Ursprungsort zurück, am liebsten in leicht veränderter «Form», verursacht von der getanen Denkarbeit. Dieses Rundendrehen spielt, wie ich erstaunt feststelle, in der hinduistischen und der buddhistischen Religion eine zentrale Rolle. Gläubige umkreisen auf so genannten Parikramas im Uhrzeigersinn heilige Schreine und Tempel, manchmal ganze Tage lang.

Körperliche Bewegung als Mittel zur Einkehr scheint also etwas sehr Archaisches zu sein, das wir intuitiv machen. Doch wie wir es tun, ist vielleicht kulturbedingt. Die Parikramas passen zu einer Religion mit dem Prinzip der ständigen Wiedergeburt. Der beschwerliche Pilgerweg zur heiligen Stadt hingegen ist typisch für eine Religion mit dem Prinzip von Leiden und Erlösung. Und die Frau, die zum Nachdenken auf dem Sofa liegt?! Wahrscheinlich ist sie Anhängerin der Chiller-Kultur, und ich als Pantoffelheldin habe noch einiges von ihr zu lernen!

Freitag, 20. Februar 2009

Das disharmonische Paar

Eine lebensunpraktische Möchtegern-Autorin lernt kochen

In «Ertappt vom Anti-Ich», als ich beim Schokoladenkauf meinem Anti-Ich begegnet bin, habe ich gesagt, dass ich des Kochens nicht fähig bin. Ich muss mich an dieser Stelle selbst korrigieren: Es handelt sich dabei nicht so sehr um eine wirkliche Unbegabung, sondern viel eher um eine fatale Kochunlust, die mich jedes Mal im denkbar ungünstigsten Zeitpunkt befällt: Dann nämlich, wenn mein Magen in jeder erdenklichen Tonlagen knurrt. Ich meine, es ist doch so: Kochen und Hunger bedingen sich gegenseitig, das eine ist erst die Voraussetzung für das andere, und dennoch spielen sie sich absolut nicht in die Hand. Ein Paar in fundamentaler Disharmonie! Mein Hunger weist nämlich ähnliche Eigenschaften auf wie mein Schlaf: Beide sind machtvoll und eigenwillig. Ist mein Hunger gross, will ich keine Zeit mehr zum kochen verschwenden, ist mein Hunger klein oder noch gar nicht vorhanden, gibt es aus meiner Sicht auch keinen Grund zu kochen.

Dennoch habe ich vor einiger Zeit beschlossen, dass es zu einer guten Allgemeinbildung gehört, ein paar Gerichte im Repertoire zu haben, im «Effeff» sozusagen. Es ist noch gar nicht lange her, da wäre ich nämlich in Verlegenheit geraten, hätte man mich spontan und ohne Kochbuch zur Zubereitung einer Mahlzeit aufgefordert. Von Pasta mit Tomantensauce einmal abgesehen. Meine Freundin Kaktusblüte lacht mich immer aus, weil ich – wenn ich mal koche – immer ganz exakt nach Rezept vorgehe. Sogar bei der Gebrausanweisung eines Fertiggerichts… Dank meiner 10-Punkte-Kochliste können mir Kochbücher in Zukunft gestohlen bleiben. Mit einem gewissen Stolz darf ich an dieser Stelle nämlich verkünden, dass ich bereits Peperoni-Reis, Ratatouille und Omeletten zubereiten kann. Der Musiker improvisiert, der Cowboy schiesst aus der Hüfte, und die lebensunpraktische Möchtegern-Autorin kocht von nun an beschwingt im Dreivierteltakt.
Doch nicht jedes Gericht hat einen Platz auf meiner Liste verdient! Sie müssen unkompliziert und schnell zubereitet sein (der Hunger…) und dennoch nach etwas aussehen. Ausserdem dürfen sie nicht allzu exotische Zutaten beinhalten, wer hat schon jederzeit Ingwer oder Sojasprossen zur Hand.

Ich finde, dass ich mit meiner Liste gut gerüstet bin fürs Leben. Als ich einmal arbeitslos war, hat mir meine Nachbarin einen Anmeldetalon für einen Kochkurs in den Briefkasten gelegt. Als Randnotiz hatte sie vermerkt: «Essen muss man schliesslich immer.» Ich war 19 und empört darüber, dass meine Nachbarin mich hinter den Herd verfrachten wollte. Die Arbeit an der eigenen Perspektive hat mir zu einer anderen Einsicht verholfen: Die Fähigkeit zu kochen ist Ausdruck von Selbstbestimmung. Dass die Hausfrauenfalle zuschnappen könnte und mein Selbstwertgefühl irgendwann darauf angewiesen sein könnte, anderen zu dienen – ich glaube, diese Gefahr kann man bei der Pantoffelheldin getrost ausschliessen.

Rezeptideen nehmen ich gerne entgegen unter: edith.truninger@gmail.com

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Ertappt vom Anti-Ich

Es gibt Menschen, die sind das pure Gegenteil des eigenen Selbst. Angesicht zu Angesicht mit seinem ganz persönlichen Anti-Ich fühlt man sich leicht wie der ungeschickteste und unperfekteste Mensch auf dem Rund dieser Erde. Ich gestehe: ich bohre leidenschaftlich gern in der Nase, schwanke auf meinen Absatzstiefeln wie auf einem Schiff, meine Wimperntusche ist ständig verschmiert und ab und zu landet auch eines meiner langen schwarzen Haare in der Pfanne, in der ich gerade rühre, womit mir eine erstklassige Überleitung gelungen ist.

Ich hatte Freunde zum Essen eingeladen. Eigentlich gehört es ja nicht zu meinen Tugenden, Freunde zu bekochen, weil ich rein theoretisch gar nicht kochen kann und zudem eine wirklich miserable Gastgeberin bin. Die Gastgeberrolle ist mir einfach nicht auf den Leib geschnitten, jedes Mal wird es mir auf halber Strecke zu anstrengend. Und mitten im offenen Feld ist dann an eine Rückkehr unmöglich mehr zu denken. Nun ja. Jedenfalls beschloss ich, meinen lieben Freunden das simpelste, kalorienhaltigste und massloseste Gericht der Saison aufzutischen: Schokoladen-Fondue. Der Klang dieses Namens wird manche an längst vergangene Pfadfinder-Tage erinnern, und auch sonst holt man sich mit diesem Menu ganz sicher keine Gault-Milieu–Punkte. Schokoladen-Fondue, sagen wir es einmal so, ist der Traktor unter eleganten Karossen: Ausschweifend, gut-bürgerlich, provinziell, ein bisschen vulgär irgendwie. Einfach total anti-urban.

Unter normalen Umständen würde ich mir ja über das Image meiner Menuwahl nicht so viele Gedanken machen. Hätte ich nicht auf so gemeine plakative Weise den Spiegel vorgesetzt bekommen: Beim Einkaufen in der Migros nämlich läuft mir mein Anti-Ich just in jenem Moment über den Weg, als ich gerade damit beschäftigt bin, rezeptgetreue zwei Kilo Schokolade in meinen Einkaufskorb zu schichten. Inflagranti ertappt…! Die Schokolade wiegt plötzlich zentnerschwer. «Auch beim Einkaufen?», säuselt mein Anti-Ich mit einer gespielten Höflichkeit, die solchen Momenten gebührt. Denn das einzige, worüber wir uns wirklich einig sind, ist die Tatsache, dass wir uns nichts zu sagen haben. «Ja ja, Wochenendeinkäufe», erwidere ich in einem möglichst unverbindlichen Tonfall, ein Stossgebet zum Himmel schickend, sie möge die zwei Kilo Schokolade in meinem Einkaufskorb übersehen und stattdessen die vielen Bananen und Äpfel zur Kenntnis nehmen.

Wäre sie nicht sie gewesen, hätte ich natürlich voller Enthusiasmus erzählt, dass ich meine Freunde zum ausgiebigen Schlemmen geladen hatte. Vielleicht hätte ich die Geschichte sogar noch etwas ausgebaut, ihr etwas Farbe verliehen. Doch mein Anti-Ich würde den Reiz eines ausschweifenden Fress-Gelages unmöglich verstehen. Deshalb sind Menschen wie sie ja auch mein Anti-Ich. Nach dem kleinen Small-Talk-Crash habe ich es eilig, an die Kasse zu kommen. Während ich meine Einkäufe geschäftig in die Tüte packe, biegt ein Kollege von ihr um die Ecke. Grosses Hallo. «Wir müssen unbedingt wieder einmal ein Sushi machen», höre ich ihn sagen. In diesem Moment geht mir ein Licht auf. Sushi… na klar. Ein cooles, total urbanes und angesagtes Sushi ist genau die bevorzugte Menuwahl meines persönlichen Anti-Ichs: Akkurat in Form geschnitten und fast hundert Prozent fettfrei.

Es wurde übrigens ein netter Abend. Dass sich drei von sechs Anwesenden – die Köchin inklusive – 24 Stunden später die Seele aus dem Leib gekotzt haben, hatte WIRKLICH nur indirekt etwas mit meinem Schokoladenfondue zu tun…

OUT NOW: KUGELBOMBEN UND KAFFEE bestellbar unter buchstabenbazaar@gmail.com

Kugelbombenu-Kaffee_cover

IMPRESSUM

edith.truninger(at)gmail.com Copyright für alle Texte bei der Autorin

Schreiben...

...ist für den Schriftsteller immer die beste aller Möglichkeiten. unbekannt

AKTUELLE BEITRÄGE

Nice website
Nice website
shanayabindra - 23. Mai, 09:13
Ich hatte auch schon...
Ich hatte auch schon einige erste Dates, die nichts...
Jan (Gast) - 31. Dez, 15:13
Neue Website
Please visit my new website under www.edithtruninger.ch
Eduschka - 18. Aug, 20:35
Oh ja... Ich habe eine...
Oh ja... Ich habe eine vierwöchige Reise durch Indien...
Jan Rojenfeld - 15. Aug, 13:51
Revolution
Mein Zuckerwattenverkäufer Neug ier ist eine gute Eigenschaft....
Eduschka - 25. Mai, 12:23
Being 28
Wellen. Brandung. Rückzug Kurz nach dem 11. September...
Eduschka - 25. Mai, 10:40
Besser leben mit...
Frühstück bei Tiffany (Truman Capote) Montauk (Max...
Eduschka - 18. Mai, 14:12
Unser Schleudersitz
Das Leben ist so kostbar. Machen wir etwas draus! Verbringen...
Eduschka - 18. Mai, 14:04

LESE GERADE


Chalid al-Chamissi
Im Taxi: Unterwegs in Kairo

SUCHE

 

About
AMAZONEN-GESCHICHTEN
Besser leben
Betrachtungen
Bsundrigi Ort
Dialog
Essays
Exkursionen in die Tierwelt
Frauen & Männer
Global Ice Cream
Himmel & Meer
Indischer Alltag
Jugend & Alter
Lyrik
Miniaturen
Pantoffelheldin
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren