Mit dem «Köpfler» ins Traumkleid

Die Qual der Wahl: Die Suche nach einem Brautkleid ist emotional und zeitintensiv.

In Tüll gehüllt, mit Krönchen und Schleier vor den Altar zu schreiten, aufrecht und leuchtend: Die klassische Vorstellung vom Traumhochzeit kennt kein Verfallsdatum. Eine ganz besondere Rolle spielt dabei das Kleid der Braut, denn obwohl zwei Personen sich das Ja-Wort geben, steht die Braut stärker im Mittelpunkt als ihr männliches Gegenstück. Trotzdem: Nicht für jede Frau ist das wuchtige «Sissi-Modell» geeignet. Ein Besuch bei der Modeberaterin kann hier Alternativen bieten, ist aber nichts für schwache Nerven: Er dürfte gut und gerne drei Stunden in Anspruch nehmen. Ein Erfahrungsbericht.

Der Raum im ersten Stock ist hell, Königssatin und Tüll an der Kleiderstange und der grosse Spiegel mit den Lämpchen verströmen den Charme einer Theatergarderobe. In diesem Raum an der Stadthausstrasse werden Woche für Woche Frauen in Bräute verwandelt. «Bei uns tritt jede Frau schön aus dem Laden», ist Modeberaterin Uschi Graf überzeugt. Die Boutique «MS Braut und Festkleider» existiert sein zehn Jahren. Geschäftsführerin Marianne Sporer und ihre rechte Hand Uschi Graf «kleiden ihre Töchter ein», wie sie selbst sagen. Meistens sind sie daher zu zweit, wenn sie sich mit der zukünftigen Vermählten und deren Entourage wie Mutter, Schwester oder Freundin in den Ankleideraum im oberen Stock zurückziehen. So etwas wie eine Umkleidekabine gibt es hier nicht, «wir sind ja unter uns», sagt Uschi Graf und sucht einen Reifunterrock heraus. Die Journalistin und ihre Freundin sind zwar beide noch weit entfernt von der Lebensphase der Ehe-Planung, versuchsweise spielen sie aber gerne angehende Braut und Brautführerin.

90 Prozent tragen Eierschale

Bei einer Beratung fragt Uschi Graf als erstes nach dem Hochzeitsdatum. Das gibt ihr einen Anhaltspunkt über die noch zur Verfügung stehende Zeit. Drei bis vier Monate Lieferfrist sind durchaus keine Seltenheit, denn in den meisten Fällen wird das Kleid erst genäht, nachdem es in Auftrag gegeben wurde. Uschi Graf reicht der Freundin den Reifunterrock, in den sie schlüpfen soll. So ein Unterrock hat bis zu drei Reifen eingenäht, um der Frau eine optimale Beinfreiheit zu gewährleisten. Dann kommt die berühmte Verkäufer-Frage «Was haben Sie sich in etwa vorgestellt?» Uschi Grafs Erfahrung zeigt, dass 90 Prozent ihrer Kundinnen sich für ein Kleid in naturweiss entscheiden (auch off-weight oder Eierschale) und nur 10 Prozent für ein schneeweisses. Auch die Freundin bevorzugt Eierschale, weitere Adjektive sind «schlicht» und «nicht zu verschnörkelt». Die Modeberaterin nickt und macht sich an der Kleiderstange zu schaffen. Ihr Anliegen ist es, dass die Kundin sich nicht verkleidet fühlt, «möglichst natürlich», lautet die Devise. «Das Kleid soll die Ausstrahlung der Kundin unterstützen, sie soll nicht aussehen wie ein Christbaum», umschreibt sie es. Innert kürzester Zeit sind fünf ziemlich verschiedene Modelle herausgesucht. Bei relativ kleinen Frauen ist es wichtig, dass das Kleid nicht zu wuchtig ist, sodass es sie nicht zu stark in den Boden drückt. «Welches Kleid spricht Sie an?» fragt Uschi Graf dann. Die Freundin entscheidet sich für ein ganz schlichtes. Kostenpunkt: 1280 Franken. Nun geht es ans Anprobieren. Uschi Graf rafft den Stoff beim Ausschnitt zusammen, weist die Freundin an, die Arme über dem Kopf zu halten wie beim «Köpfler» und streift ihr das Kleid über. Der Blick an sich herunter. Dann die Umdrehung zum Spiegel. Ein ungewohnter Anblick.

Jugendsünden wollen abgedeckt werden

«Zuerst ist es fremd», weiss die Modeberaterin. «Doch wenn die Frau das zweite oder dritte Kleid anprobiert hat, hat sich das Auge daran gewöhnt». Das Kleid ist zu gross, weswegen Uschi Graf auf der Rückseite einige Nadeln befestigt. Weil das Kleid zu lang ist, wird die Freundin angewiesen, auf ein kleines Podest zu steigen. So lässt sich feststellen, ob der Stoff schön fällt. Ein Hochzeitskleid sollte so lang sein, dass zwischen Saum und Boden gerade noch ein Finger Platz hat. Oftmals sind die Beraterinnen auch gefordert, wenn es darum geht, Jugendsünden wie Tätowierungen abzudecken. Uschi Graf gibt zwar jeder Kundin zu Bedenken, dass die Tätowierung zu ihr gehöre und die Hochzeitsgäste sie nicht anders kennen würden, «aber manche Frauen finden es unpassend». Das zweite Kleid hat Blumenstickereien, damit sieht die Freundin «lieblicher» aus, so die Modeberaterin. Erstaunlich, wie unterschiedlich Kleider wirken können. Das dritte hat Blumenärmel und einen Herz-Ausschnitt. «Romantik pur», urteilt die Modeberaterin. Obschon die Freundin kein verschnörkeltes Kleid wollte: Romantik gefällt. Uschi Graf ist nicht überrascht: «Viele kommen mit einem ganz anderen Kleid hier raus als sie sich vorgestellt hatten». Getragen sieht ein Brautkleid nun mal einfach anders aus als auf dem Kleiderbügel. Nachdem alle fünf Kleider anprobiert worden sind, geht man über zur ersten Selektion: Jetzt stehen noch drei zur Auswahl, die nochmals durchprobiert werden.

Leuchten von innen heraus

Die Frage nach Accessoires kommt in einem zweiten Schritt. Schleier? Diadem? Ein glitzerndes Diadem ist der Freundin etwas zu viel des Guten, besser hingegen gefallen ihr die sogenannten Curler, kleine Schmuck-Accessoires, die ins Haar eingedreht werden. Graf: «Meistens ist es so, dass die Frau spürt, wann ein Kleid zu ihr passt. Manche fangen richtig an zu leuchten». Uschi Graf pflegt dann jeweils zu sagen: «Jetzt haben wir die Schweinwerfer angestellt».

Erschienen am 25. Feb 2006 im Hochzeits-Sonderbund des Landbote

Besten Dank an Kaktusblüte für dieses tolle Experiment!

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