Der Bücherrausch - ein Aufsatz
Eine Bibliothek ist etwas Grossartiges, das Prozedere der Buchauswahl dafür umso komplexer. Denn es gibt Tage, da findet man trotz grosser Leselust kein einziges Buch, das so richtig ansprechend ist. Und manchmal, ja manchmal passiert es, dass man dabei in einen richtigen Rausch gerät. Dann findet man nur Bücher, die genau an die richtige Stelle im Herzen passen. In diesen Momenten fühle ich mich zugehörig zu einer Welt, die so viel über das Leben aussagt und trotzdem auf eigenartige Weise für sich selbst steht: Die Welt der Buchstaben.
Ich habe neulich einen Dokumentarfilm gesehen über Illetristen, also Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben können, obwohl sie es in der Schule jahrelang gelernt haben. Das Kamera-Team begleitete die Betroffenen zu den Kursen «Lesen und Schreiben für Erwachsene» und während zwei der Porträtierten grosse Fortschritte machen, zauderte der andere. Er blieb den Kursen fern, zeigte sich unmotiviert, obwohl er begabt war. In einem sensiblen Moment sprach er das Unerhörte in die Kamera: «Eigentlich gefällt mir mein Leben, so wie es ist. Doch wenn ich lesen und schreiben lerne, wird alles so schwierig».
Dieser Satz hat mich sehr berührt, denn er drückt aus, was für ein Umbruch im Leben desjenigen stattfindet, der lesen lernt. Was für eine Revolution! Und wie viele Konsequenzen es nach sich zieht. Die meisten von uns lernen das Schreiben und Lesen als Kinder, der Prozess geschieht eher unbewusst, so nebenbei. Man ist noch kein gewordenes Ganzes. Als Erwachsener jedoch hat man ein bestimmtes Selbstbild und ein bestimmtes Weltbild erarbeitet, was zusammen genommen die Identität eines Menschen überhaupt ausmacht. Diese Identität, könnte durch Fremdeinflüsse ins Wanken geraten oder im schlimmsten Fall sogar in sich zusammen stürzen.
Der Betroffene, nennen wir ihn G., war sich dieses Zusammenhangs durchaus bewusst. Er hat irgendwie gespürt, dass es etwas «Grosses» ist, was da gerade mit ihm passiert. Und trotz dem Bedürfnis, dazuzugehören zu dieser Welt der Buchstaben, war es für ihn auch eine Reise ins Ungewisse, deren Gefahren er sich nicht stellen wollte. Denn mit Lesen eröffnet sich einem eine völlig neue Welt. Für lange Zeit stand G. abseits davon und richtete sich sein Leben entsprechend ein. Die Angst, die ihm die Luft wegnahm, war nicht die Angst, endlich die Strassennamen entziffern oder eine Notiz für seine Frau hinterlassen zu können. Er ängstigte sich davor, dass seine Identität durch die leichtere Informationsbeschaffung in ihren Grundfesten erschüttert werden könnte.
Es ist dieses Versinken in sich selbst, das mich so fasziniert beim Lesen. Während man äusserlich ganz ruhig ist, spielt sich innerlich eine rege Aktivität ab, man ist sozusagen im inneren Dialog mit sich selbst. Man lernt sich durch das Gelesene anders kennen. Ein ähnlicher Effekt bewirkt ein guter Film, und doch ist man bei visuellen Medien viel passiver. Man lässt es einfach so auf sich einprasseln. Beim Lesen ist das anders. Man macht etwas, ist aktiv beteiligt. Es ist wohl schwierig, diese Leidenschaft, die ich fürs Lesen empfinde, jemandem begreiflich zu machen, für den alles, was damit zu tun hat, schon immer ein Kampf bedeutet hat. Ich kann an keinem Buchladen vorbei gehen, nur schon der Geruch von frisch bedrucktem Papier ist für mich verführerisch. Und manchmal stellt sich bei mir beim Anblick so vielen Büchern auf den Regalen wie bei G. ein Gefühl der Hilflosigkeit ein: «Mein Gott, mein Leben ist zu kurz, um all die Bücher zu lesen, die ich möchte!», denke ich dann. Aber das passiert nur an den guten Tagen. An den Tagen, wenn sich der Bücherrausch einstellt.
Doch es gibt gute Nachrichten für G.: Der Bücherrausch ist eher eine Ausnahme, das Leben meint es gnädig mit uns. G. braucht sich nicht zu fürchten. Die Welt, die sich da zwischen zwei Buchdeckeln auftut, ist immer nur Ergänzung. Es braucht «the real thing», das richtige Leben. Man muss nach zwei Stunden völliger Abgeschiedenheit in einer Buchhandlung wieder auf die Strasse treten können, die frische Luft einatmen und dem Strassenmusikanten zulächeln. Aber das Gefühl in einem drin wird ein anderes sein. Ein Mensch braucht die Anregung von innen, aber auch die Inspiration von aussen. Das Leben selbst sorgt für die ihm eigene Balance.
Ich habe neulich einen Dokumentarfilm gesehen über Illetristen, also Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben können, obwohl sie es in der Schule jahrelang gelernt haben. Das Kamera-Team begleitete die Betroffenen zu den Kursen «Lesen und Schreiben für Erwachsene» und während zwei der Porträtierten grosse Fortschritte machen, zauderte der andere. Er blieb den Kursen fern, zeigte sich unmotiviert, obwohl er begabt war. In einem sensiblen Moment sprach er das Unerhörte in die Kamera: «Eigentlich gefällt mir mein Leben, so wie es ist. Doch wenn ich lesen und schreiben lerne, wird alles so schwierig».
Dieser Satz hat mich sehr berührt, denn er drückt aus, was für ein Umbruch im Leben desjenigen stattfindet, der lesen lernt. Was für eine Revolution! Und wie viele Konsequenzen es nach sich zieht. Die meisten von uns lernen das Schreiben und Lesen als Kinder, der Prozess geschieht eher unbewusst, so nebenbei. Man ist noch kein gewordenes Ganzes. Als Erwachsener jedoch hat man ein bestimmtes Selbstbild und ein bestimmtes Weltbild erarbeitet, was zusammen genommen die Identität eines Menschen überhaupt ausmacht. Diese Identität, könnte durch Fremdeinflüsse ins Wanken geraten oder im schlimmsten Fall sogar in sich zusammen stürzen.
Der Betroffene, nennen wir ihn G., war sich dieses Zusammenhangs durchaus bewusst. Er hat irgendwie gespürt, dass es etwas «Grosses» ist, was da gerade mit ihm passiert. Und trotz dem Bedürfnis, dazuzugehören zu dieser Welt der Buchstaben, war es für ihn auch eine Reise ins Ungewisse, deren Gefahren er sich nicht stellen wollte. Denn mit Lesen eröffnet sich einem eine völlig neue Welt. Für lange Zeit stand G. abseits davon und richtete sich sein Leben entsprechend ein. Die Angst, die ihm die Luft wegnahm, war nicht die Angst, endlich die Strassennamen entziffern oder eine Notiz für seine Frau hinterlassen zu können. Er ängstigte sich davor, dass seine Identität durch die leichtere Informationsbeschaffung in ihren Grundfesten erschüttert werden könnte.
Es ist dieses Versinken in sich selbst, das mich so fasziniert beim Lesen. Während man äusserlich ganz ruhig ist, spielt sich innerlich eine rege Aktivität ab, man ist sozusagen im inneren Dialog mit sich selbst. Man lernt sich durch das Gelesene anders kennen. Ein ähnlicher Effekt bewirkt ein guter Film, und doch ist man bei visuellen Medien viel passiver. Man lässt es einfach so auf sich einprasseln. Beim Lesen ist das anders. Man macht etwas, ist aktiv beteiligt. Es ist wohl schwierig, diese Leidenschaft, die ich fürs Lesen empfinde, jemandem begreiflich zu machen, für den alles, was damit zu tun hat, schon immer ein Kampf bedeutet hat. Ich kann an keinem Buchladen vorbei gehen, nur schon der Geruch von frisch bedrucktem Papier ist für mich verführerisch. Und manchmal stellt sich bei mir beim Anblick so vielen Büchern auf den Regalen wie bei G. ein Gefühl der Hilflosigkeit ein: «Mein Gott, mein Leben ist zu kurz, um all die Bücher zu lesen, die ich möchte!», denke ich dann. Aber das passiert nur an den guten Tagen. An den Tagen, wenn sich der Bücherrausch einstellt.
Doch es gibt gute Nachrichten für G.: Der Bücherrausch ist eher eine Ausnahme, das Leben meint es gnädig mit uns. G. braucht sich nicht zu fürchten. Die Welt, die sich da zwischen zwei Buchdeckeln auftut, ist immer nur Ergänzung. Es braucht «the real thing», das richtige Leben. Man muss nach zwei Stunden völliger Abgeschiedenheit in einer Buchhandlung wieder auf die Strasse treten können, die frische Luft einatmen und dem Strassenmusikanten zulächeln. Aber das Gefühl in einem drin wird ein anderes sein. Ein Mensch braucht die Anregung von innen, aber auch die Inspiration von aussen. Das Leben selbst sorgt für die ihm eigene Balance.
Eduschka - 31. Jul, 12:08