Im Land des reinen Herzens

Indien zieht Lebenshungrige aus aller Welt an wie ein Magnet. Am tief greifendsten erfährt man das indische Leben als Rucksackreisender.

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Die Angst gehört dazu. Jeder hat Angst, der zum ersten Mal nach Indien reist. Indien gilt unter Rucksackreisenden als eines der am schwierigsten zu bereisenden Länder der Welt. «Du wirst es lieben oder hassen», wird dir prophezeit, und du findest das zutiefst Furcht einflössend und zugleich wahnsinnig aufregend. Der Hauptgrund für allfällige Hassgefühle ist meistens derselbe: Indien ist voller Menschen. Auf Indiens Strassen wuselt es wie in einem Ameisenhaufen, und jeder Ladenbesitzer versucht mit Hilfe von westlichen Touristen seine Tageseinnahmen aufzubessern. So findet man sich leicht von Händlern umringt und im wiederholten Male beteuernd, dass man wirklich nichts kaufen möchte. In Indien ist man nie allein.

Die Inder sind vielleicht das, was wir als «aufdringlich» bezeichnen würden, aber gerade deshalb ist es dafür auch spielend einfach, mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen. Inder sind herzlich und ehrlich neugierig auf dich und das Land, aus dem du stammst. Sie laden dich zum Chai ein, dem köstlichen indischen Tee, und plaudern mit dir über ihre Familie oder ihre Religion.

Reisende in regem Austausch

Seit Jahrzehnten zieht Indien lebenshungrige Rucksackreisende an wie ein Magnet. Unter «Lonely-Planet-Jüngern» herrscht deshalb ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl. Gerade weil gewisse Mysterien der indischen Kultur für Westler immer ein Geheimnis bleiben werden, bekommt der Austausch untereinander einen hohen Stellenwert. Fürsorglichkeit wird gross geschrieben. Ich habe zehn Tage im indischen Teil von Kaschmir mit Leuten aus England, Deutschland, Südkorea, Japan und Israel auf einem Hausboot verbracht und es als grosse Bereicherung erlebt, gemeinsam über die ersten Gehversuche in dieser fremden Kultur zu lachen. Natürlich gehört es auch dazu, sich über gewisse Eigenheiten des Gastlandes zu wundern, zum Beispiel, wenn simple Dinge wie Essen bestellen endlos kompliziert anmuten oder man wieder mal dauernd auf den nächsten Tag vertröstet wird. Denn auch das ist eine wichtige Lektion: In Indien dauert alles seine Zeit.

Ein guter Tipp bereits für die Reiseplanung ist deshalb: Wenn man nur begrenzt Zeit zur Verfügung hat, sollte man sich nicht zu viel vornehmen. Reisen als Rucksackreisender in Indien ist anstrengend, zudem müssen Pläne dauernd geändert werden. Ich habe auf meiner Reise jedenfalls niemanden angetroffen, der tatsächlich seiner ursprünglichen Reiseroute gefolgt wäre. Der Faktor Unbekannt ist in Indien wahrscheinlich grösser als andernorts, aber genau das macht Indien zu einem faszinierenden Rucksackreiseland. Dennoch braucht man weder ein Weltenbummler, ein Althippie oder ein Esoteriker zu sein, um die optimalen Reisevoraussetzungen für eine Indienreise mit zu bringen. Das Einzige, was man in sich tragen sollte, ist eine unvoreingenommene und neugierige Haltung anderen Menschen gegenüber. Indien ist so schrill, überraschend, vielfältig und widersprüchlich, wie es nur das Leben selbst sein kann. Und das schönste: Die Inder sind Menschen mit reinem Herzen. Man muss sie nur anlächeln, und alles an ihrem Körper öffnet sich zu einem einzigen grossen Strahlen.
Erschienen: Landbote, April 2006

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