Eine Vogelscheuche im Gangster-Look

Heute bin ich in einer Gärtnerei einer Vogelscheuche begegnet. Das ist an sich ja noch nichts Besonderes, doch jemand hat der Vogelscheuche einen Gangster-Look verpasst: Sie trug einen weiten XXL-Pullover und hatte keinen Kopf. Ich bin in lautes Gelächter ausgebrochen. Später, auf dem Heimweg im Auto habe ich zwei junge Frauen vor mir auf dem Fussgängerstreifen die Strasse überqueren lassen. Eine davon konnte fast nicht gehen in ihren zentimeterhohen Pfennigabsätzen. Sie schwankte wie ein Schiff. Zur Windschutzscheibe hinausstarrend und in Gedanken versunken habe ich den Kopf geschüttelt. Das Problem bei der Betrachtung der Jugend ist doch, dass man sie immer gleich mit seiner eigenen vergleicht. Noch dazu bin ich auf dem Land aufgewachsen, was sowieso alle Relationen verschiebt. Bei uns war es «cool», ein Töffli zu besitzen. Landjugend eben. Im Jahr 2007 und in der Stadt scheinen Absätze bei Frauen ein absolutes Muss zu sein, ausserdem Röhrenjeans, wie ich bei einem Augenschein im Jugendtreff feststellen musste. Doch beim Jugendforscher Dr. Leo Gehrig habe ich gelernt, dass die Jugend immer ein Spiegel der Gesellschaft ist. Ein eindrücklicher Spiegel der Gesellschaft, weil Menschen, die sich gerade im Prozess befinden, sich ihrer selbst bewusst zu werden, besonders verwundbar und angreifbar sind. Die Probleme der Gesellschaft konzentrieren sich sozusagen im Angesicht von Jugend. Da wundert es auch niemanden, dass viele Jugendliche heute orientierungslos sind, weil auch die Erwachsenen in ihren Lebenskonzepten zu viele Epizentren haben, sich zu stark verzetteln.

Die Selbstironie vermisse ich bei der Jugend schon. Dabei ist Selbstironie doch so etwas Wunderbares. Gerade wenn man typische Probleme des Erwachsenwerdens hat, gerade wenn man manchmal etwas neben sich steht: Über sich selbst zu lachen ist so befreiend. Und gleichzeitig erlernt man dabei die Fähigkeit, sich und seine Probleme von aussen zu betrachten, was alles in ganz andere Relationen stellt. Genau deshalb finde ich eine Vogelscheuche im Gangster-Look so lustig: Weil ein «Gangsta’rapper» eine Vogelscheuche wahrscheinlich nicht als «cool» einstufen würde. Aber für mich ist die Vogelscheuche ein starkes Symbol: Sie schützt die Trauben vor den Beeren. Sie macht sich hässlich, um abzuschrecken. Das macht sie wirklich mutig.

31. Mai 2007

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