The scent of the big wide world

An manchen Tagen vergeht mir die Lust, am Stand zu stehen und auf Käuferschaft zu warten. Dann will ich nicht an Ort und Stelle verharren, sondern in Bewegung sein, mit Menschen in Beziehung treten, einen Augenlidschlag lang Hansdampf in allen Gassen sein. Und so löse ich die Schnüre meiner Schürze und begebe mich auf einen Streifzug durch den Flughafen. Ich durchwandere die Sitzreihen und schaue den Passagieren in der Transithalle beim Warten zu, ich bummle durch den Duty Free, plaudere mit dem netten Sicherheitsbeamten mit den schönen blauen Augen, fahre Sky Metro oder stibitze in der Lounge ein paar Cashewnuts... der Flughafen wird zu meiner ganz persönlichen, überdimensionalen Spielwiese.

Manchmal, wenn gerade ein Langstreckenflieger angedockt hat, bleibe ich für einen Moment stehen und schaue dabei zu, wie die Gatetüren sich öffnen und die Passagiere herausströmen. Dann stelle ich mir vor, woher diese Menschen kommen und was der Grund für ihre Reise sein mag. Das ist ein besonderer Moment, denn ich weiss, dass ich der Welt, der sie gerade entschwunden sind, näher nicht mehr kommen kann – es sei denn, ich fliege selber hin. Ich befinde mich hier an der äussersten Grenze. Wenige Stunden zuvor, am Abflugsort, wurde die Kabinentür hermetisch verriegelt und hier, am Ziel der Reise, schwingt sie wieder auf und spukt Passagiere aus, die zielstrebig Richtung Ausgang strömen. Der Geruch der anderen Welt haftet ihnen noch an den Kleidern, an der Haut. In diesem Moment ist die fremde Welt für mich zum Greifen nahe, sie liegt buchstäblich in der Luft. Ich halte einen Moment inne und atme den Geruch durch meine Nasenlöcher ein – es ist der Duft der grossen weiten Welt.

Ich muss nie fragen, woher ein Flugzeug kommt. Die Duftfahne, die mir aus dem Fingerdock entgegen weht, erzählt es mir. Kommt ein Flugzeug zum Beispiel aus Indien oder der arabischen Welt, ist ein würziger Geruch vorherrschend. Er verrät mir, dass die Menschen dort an scharfes Essen gewöhnt sind. Kommt ein Flugzeug aus dem Balkan, legt sich eine rauchige Duftnote wie ein Schleier über die Köpfe der Passagiere, der mir verrät, dass die Menschen dort noch auf offenem Feuer kochen. Bei Flugzeugen, ankommend aus den Vereinigten Staaten, steigt mir ein undefinierbarer, chemischer Geruch in die Nase, der mich ein bisschen an Erdbeertörtchen erinnert. So hat jede Destination ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Geruch.

Nachdem alle Passagiere ausgestiegen sind, geht die Crew von Bord. Engelsgleiche Gestalten, adrett uniformiert, hinterlassen eine süssliche Parfümwolke, betörend und prachtvoll, wuchtig und schwer – und übertünchen die Duftschwaden des «Destinations-Geruchs», der eben noch in der Luft gelegen ist. Düfte lösen praktisch wie auf Knopfdruck Gefühle in uns aus. Diese enge Verwandtschaft ist kein Zufall: Dufterinnerungen werden im Gehirn am selben Ort verarbeitet und abgespeichert, wo auch die Emotionen sitzen. Besonders augenfällig ist das bei Gerüchen, die eng mit Erinnerungen verknüpft sind: Der Geruch von Karamelbonbons ruft blitzartig Bilder der Grossmutter wach, der Duft der alten Ledermappe beschwört Erinnerungen an die Schulzeit herauf. Nichts ist so individuell wie unser Duftgedächtnis. Und so hat jeder von uns mit der Zeit seine ganz eigene, individuelle Duftlandkarte, die sich in seiner Seelenlandschaft festsetzt. Wir können einen Geruch selbst dann noch mit einem Gefühl verbinden, wenn bereits Jahrzehnte zurückliegen, seit wir ihn zum letzten Mal bewusst wahrgenommen haben.

«Die Nase ist eigentlich ein völlig passives Organ», hat mir Pablo gestern erzählt. «Doch mit ein bisschen Training kann sie jeder in Marathon-Form bringen.» Er muss es wissen, denn Pablo war früher gefeierter Parfumeur, bevor er sich darauf beschränkte, Parfüms nur noch zu verkaufen, statt sie selber herzustellen. An diese Unterhaltung muss ich jetzt zurückdenken, als ich an der Gatetüre stehe, lächelnd, und all die schönen Flugbegleiterinnen herausströmen sehe. Pablos Parfümstand im Duty Free Shop grenzt direkt an meinen. Ich finde, er hat den schönsten Job der Welt. Schliesslich sorgt er dafür, dass die Welt duftet – und schenkt ihr damit einen bunten Blumenstrauss voller Emotionen. Pablo hingegen ist nicht so ganz meiner Meinung. «Rosaly-Schätzchen», sagt er dann, «du bist hier diejenige, die die grossen Gefühl an die Wand malt. Schau dir das Leuchten in diesen Kinderaugen an, wenn sie mit dem Eis in der Hand deinen Stand verlassen.» Vielleicht hat er ja Recht. Pablo liebt Kinder und es fällt ihm schwer, sich mit der Tatsache abzufinden, dass es mir mit der Eiscrème so spielend gelingen will, die Kinderherzen gleich reihenweise zu erobern.

Doch Eiscrème-Expertin zu werden ist leicht. Es genügt vollauf, ein Schleckmaul zu sein. Bei Parfums ist das anders. Das Handwerk des Parfumeurs erscheint mir manchmal wie eine Geheimwissenschaft, wie das Verwandeln von Blei in Gold. Mit seiner Pipette in der Hand tüftelt der Parfumeur an seiner neusten Kreation, schraubt an Kopf-, Herz- und Basisnote herum, fügt hier ein bisschen Beere hinzu und nimmt dort eine Prise Moschus weg... Parfumeure müssen unglaublich feinfühlige Menschen sein. Die Beschäftigung mit Gerüchen muss fast zwangsläufig ihre Aufnahmefähigkeit für das Fühlen verstärken. Weltweit soll es nur 2000 Parfumeure geben. Als ich so darüber nachdenke, nehme ich mir vor, auch meine Nase auf Marathon-Form zu bringen. Vielleicht wird mir Pablo dabei helfen können? Gestern hat er ungewollt gleich selber den Anfang dafür gemacht. «Rosi, ist dir schon mal aufgefallen, dass auch japanischen Babys ganz anders riechen als unsere?», fragte er mich, nachdem er eine japanisch aussehende Kundin fertig bedient hat. Ich bin gerade damit beschäftigt, die Cornettos aufzufüllen. «Nein. Wie denn?» – «Irgendwie nach Bananen.»

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Chalid al-Chamissi
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