Die sieben Zentimeter

amazonen_negativDas mit dem Frausein ist so eine Sache. Auf unserem Weg zur vollkommenen Sinnlichkeit werden uns immer wieder Fallen gestellt. Die sieben Zentimeter beispielsweise. Ab sieben Zentimeter sind High Heels nämlich offiziell High Heels. In Stöckelschuhen fühlen sich Frauen selbstbewusst und weiblich. Weil Frauen auf hohen Schuhen durch die Landschaft schaukeln, jedem Kanaldeckel ausweichen und dabei immer noch souverän lächeln sollten, sind sie manchmal ganz froh, ab und an einen Mann an ihrer Seite zu wissen, an dessen Arm sie sich ein wenig unterhaken können. High Heels scheinen nie eine falsche Wahl zu sein, auch nicht auf einer schneebedeckten Strasse in einem Schweizer Wintersportort. Die Szene, dessen Zeuginnen wir Amazonen in jener Neujahrsnacht werden: Zwei Liebespaare stehen am Strassenrand und warten auf ein Taxi, die Damen sind zurechtgemacht und tragen doch tatsächlich...High Heels. Wir schauen ungläubig, so viel Dummheit macht sogar uns sprachlos. «Diese Frauen können heute Abend tatsächlich keinen einzigen Schritt alleine tun», sage ich in das Schweigen hinein. Die Römerin antwortet: «Die haben dänk VIP-Eintritte in einen angesagten Club. Die müssen heute gar nicht mehr auf die Strasse. Nicht so wie wir, die in der Silversternacht um elf immer noch um die Häuser ziehen und nicht wissen, in welche Säuferbar es uns dieses Mal verschlagen wird.» Wo sie Recht hat, hat sie Recht.

Wir stapfen also weiter durch den Schnee und finden tatsächlich noch ein warmes Plätzchen für den Moment des Champagnerknallens. Als die Uhr Mitternacht anzeigt, fallen wir uns stürmisch um den Hals, uns von ganzem Herzen alles Gute wünschend. Danach ist mir etwas feierlich zumute. Und anstatt meine Weiblichkeit mit sieben Zentimeter hohen Absätzen Ausdruck zu verleihen, beschliesse ich, mir sieben süsse Zentimeter der anderen Art zu gönnen. «Ich lasse mir jetzt am Automaten einen Taschenvibrator raus», verkünde ich meinen Freundinnen in feierlichem Tonfall und rutsche enthusiastisch von meinem Barhocker. Auf ein vibrierendes neues Jahr!

Als ich den Automaten im Untergeschoss der Säuferbar anpeile, stehen da bereits zwei Frauen, die sich angeregt unterhalten. Ich denke bereits daran, meine Mission auf später zu verschieben, weil ich mich ein klitzekleines bisschen geniere. Doch dann beschliesse ich, zu meinem Bedürfnis zu stehen und fasse mir ein Herz. ICH KAUFE MIR HEUTE NACHT EINEN VIBRATOR, wiederhole ich innerlich mein Mantra, füttere den Automaten mit zwei Fünfliberstücken, als ich feststellen muss, dass dieser Automat kein Rückgeld gibt. Anstatt acht Franken zahle ich deren zehn. Aber was soll’s, schliesslich ist heute Silvester und vielleicht ist meine Neuanschaffung ja eine echte Investition. Mit grösster Sorgfalt wähle ich die richtige Taste, schliesslich will ich kein Kondom, was in diesem Automaten ebenfalls erhältlich wäre, nein, ich will einen TOY BOY. Die zwei Frauen, die sich nun über meinen Kopf hinweg unterhalten müssen, nehmen keine Notiz von mir. Ohne Unterlass plappern sie weiter. Und gerade, als ich das Päckchen aus dem Fach nehmen und verduften will, kommt eine junge Frau die Treppe herunter und verkündet lautstark: «Dä muess huere geil si, mini Fründin hät dä glich!» Es war eine meiner aufregenderen Silvesternächte.

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Chalid al-Chamissi
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