Global Ice Cream: Fliegende Händlerin

Fliegende Händler gehören zum Bild des Orients wie spitze Türmchen, farbenprächtigen Seidenstoffe und die Zimbeln der Bauchtänzerinnen. Auch ohne den Gestank von Kameldung fühle ich mich im Airside Centre gelegentlich wie auf einem orientalischen Basar. Frauen in Kopftüchern, japanische Reisegruppen, Afrikanische Mamas in bunten Gewändern, zottelige Rucksacktouristen - sie alle schlendern durch das hohe Bauwerk mit dem verstrebten Gewölbe und der Glasfassade. Abreisende kaufen Schweizer Schokolade für die Daheimgebliebenen oder eine zollfreie Schweizer Uhr, während Ahmed die Lederschuhe von asiatischen Geschäftsherren in Hugo-Boss-Anzügen auf Hochglanz poliert. Schon immer war der Händler der Verbinder zwischen den Menschen. Einer, der das begriffen hat, ist Ahmed, der Schuhputzer, ein Ägypter mit Rauschebart, der lautstark «shoe polish! Shoe polilsh!» durchs Airside Centre brüllt. Ahmeds Arbeit ist hart, seine Arbeitszeiten sind lang, doch er besitzt einen untrüglichen Sinn für alles Geschäftliche – und er ist Händler aus Leidenschaft. Von ihm habe ich viel darüber gelernt, was es heisst, eine Händlerin zu sein. Auch wenn ich nur eine kleine Eiscrème-Verkäuferin bin.

Eigentlich bin ich ja eine Farmerstochter. Auf einer Farm in der südafrikanischen Steppe aufgewachsen, inmitten von Rindern und Kälbern und umgeben von Farmland soweit das Auge reicht. Doch interessanterweise hat mich das Händlerwesen immer schon viel mehr fasziniert. Als Kind habe ich es geliebt, meinen Vater auf Rinderauktionen nach Durban zu begleiten. Und wenn wir zum Skifahren in die Schweizer Berge gefahren sind, haben mein Bruder Oskar und ich am Pistenrand Becher mit heissem Tee an Wintersportler verkauft. Nach der Matura studierte ich einige Semester Philosophie, war dabei aber nie richtig glücklich. Das Studium war mir zu wenig nah am Leben. Als dann vor zwei Jahren eine gutbetuchte, kinderlose Tante meiner Mutter starb, kamen mein Bruder und ich unverhofft zu einem kleinen Erbe. Plötzlich hatte ich ein ein ausreichendes Startkapital, um meinen Traum zu verwirklichen. Als ich dann eine Antiquitäten-Messe besuchte, verlor ich mein Herz an einen Eiscrème-Wagen, und mein Entschluss stand fest: Ich wollte Eiscrème-Verkäuferin werden! Mein Vater half mir dabei, den alten Wagen wieder in Schuss zu bringen. Und so habe ich die Bücher gegen die Glacézange eingetauscht und es bisher noch keine einzige Minute bereut. Ich spiele das uralte Spiel von Angebot und Nachfrage, als hätte ich im Leben nie etwas anderes getan, und werde nicht müde dabei. Ich glaube, ich liebe meine Arbeit deshalb so innig, weil ich mich als Person wirklich einbringen kann – und weil mir niemand sagt, was ich zu tun habe. Niemand schaut mir über die Schulter, ich kann frei darüber entscheiden, was ich im Sortiment habe, wer mich beliefert und wie ich mein Produkt unter die Leute bringe. Der Erfolg gehört mir, genauso wie ich mit Misserfolg umgehen muss.

Doch zuerst musste ich lernen, was es heisst, eine Händlerin zu sein. Ein Händler muss die Menschen kennen. Und nicht nur das: Er muss sie lieben. Ein guter Verkäufer weiss, dass in seinem Beruf nur ein einziger Fehler unverzeihlich ist: Er darf nie – nie – die emotionale Dimension vernachlässigen, die den Dingen zu Grunde liegt. Ein Händler muss seine Handelstätigkeit leben, mit seinem ganzen Auftreten, seiner ganzen Persönlichkeit. Genauso wenig wie man einem mageren Koch trauen sollte, ist es ratsam, einem schlecht gelaunten Marktfahrer zu trauen. Kontaktfähigkeit ist des Händlers herausragendste Eigenschaft, er ist ein gesellschaftlich gewandter Mensch und versteht es mit Leichtigkeit, die Menschen am richtigen Ort «abzuholen», eine Kontaktbrücke zu schlagen. Meistens sind Händler sehr entschlussfreudige Personen, die viel Wärme und Zuversicht ausstrahlen. Das macht ihn zu einem Vermittler zwischen den Menschen.

Zudem ist es charakteristisch für den Händler, dass er etwas Weltläufiges ausstrahlt. Ein Händler muss über die Gott und die Welt reden können, wenn er etwas verkaufen will. Es ist jedoch zu kurz gedacht, wenn wir davon ausgehen, dass nur Versicherungsvertreter, Autoverkäufer oder Immobilienmakler Verhandlungen führen. Jeder von uns führt in seinem Alltag wichtige Verhandlungen, vielleicht sogar solche mit der grösseren Tragweite als im Geschäftsleben. Verhandeln ist so essenziell, dass ich mich frage, warum wir es nicht in der Schule lernen wie Rechnen oder Schreiben.

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