AMAZONEN-GESCHICHTEN

Dienstag, 8. Januar 2008

Die Tatoo-Brüderschaft

Ewige Freundschaft? Dafür tragen die Amazonen alle einen Ring, der sie an einander erinnert. Doch es gibt auch andere Möglichkeiten, sich die Treue zu schwören.

amazonen_negativ Kürzlich sassen die Amazonen und ich in unserem Lieblings-Lokal, als wir mit vier Männern um die zwanzig ins Gespräch kamen. Eine ganz alltägliche Situation. Was in der Folge passierte, war dann allerdings nicht mehr ganz so alltäglich. Wer hätte gedacht, dass auf unsere harmlose Frage, «seid ihre gute Freunde?» eine dermassen eindrückliche und in der Tat «handfeste» Antwort folgen würde?? Wir staunten nämlich nicht schlecht, als die jungen Männer wie auf Kommando damit begannen, den Gurt ihrer Jeans zu lockern, Knopf und Reissverschluss öffneten, sich umdrehten und uns ihren nackten Po auf dem Präsentierteller entgegenstreckten. Einen Moment lang waren wir sprachlos, was im Kreise der Amazonen wirklich nur in Ausnahmefällen vorkommt. Bis wir entdeckten, dass auf allen entblössten Ärschen die gleiche Tätowierung prangte, hatten wir unsere Sprache wieder gefunden. Ist die neu? Gekreische. Was ist das? Gelächter und Gekicher. Es war eine Art chinesisches Schriftzeichen, das sie sich eben erst hatten stechen lassen. Eine Tätowierung auf dem Arsch - was für ein Freundschaftsbeweis! Schnell waren wir uns einig, dass ein tätowiertes Herz auf dem Oberarm mit den Initialen des Lieblingsmenschen sehr lächerlich anmutet. Aber Freunde, die sich auf diese körperliche Art ein lebenslang aneinander erinnert werden wollen…irgendwie hat das einfach Stil!

Die Amazonen wollten den Jungs dann natürlich in nichts nachstehen und präsentierten voller Stolz ihren Freundschaftsring. Doch die Geste wirkte fad, ja die ganze Ringgeschichte wirkte plötzlich extrem langweilig und alltäglich. Schweren Herzens mussten wir diese Niederlage hinnehmen. Ich versuchte dann zu trösten, indem ich sagte: «Wir würden sowieso kein Motiv finden, das uns allen gefallen würde.» Worauf Lockenkopf wie aus der Pistole geschossen und in vollem Ernst sagte: «Ich glaube, ich würde ein Schmetterlings-Tatoo wollen.» «Ein Schmetterling? Spinnst Du eigentlich?» liess die Reaktion der anderen nicht lange auf sich warten. Die durchdiskutierten Nächte, bis wir dann noch die geeignete Körperstelle auserkoren hätten, möchte ich mir lieber gar nicht vorstellen…

Mittwoch, 12. Dezember 2007

Schöne Brüste: Frauen finden Frauen schön

Die Amazone würde gern jemandem ein Kompliment machen. Wenn es nur nicht eine «Sie» wäre.

amazonen_negativ Es gibt Momente im Leben, da fühlt man sich ertappt von seinem eigenen Selbst. So erging es mir vor einigen Wochen, als ich mit den Amazonen in unserem Stammlokal sass und plauderte. Ich hatte eine Frau entdeckt, die schräg gegenüber von uns sass und einen roten Pulli trug. Sie hatte schöne, ausladende Brüste und ich kam nicht umhin, ihr dauernd auf ihre Oberweite zu starren. «Ich muss dieser Frau dort dauernd auf die Brüste starren!», flüsterte ich meinen Amazonen zu. Gelächter unter vorgehaltener Hand. «Welche?», fragten meine Amazonenfreundinnen interessiert zurück. Ich umschrieb ihr Äusseres. Einen Moment lang fühlte ich mich schäbig und anzüglich, weil ich es doch hasse, wenn Männer mit uns Frauen reden und uns nicht etwa in die Augen schauen, sondern mit ihrem Blick ständig eine Etage weiter unten kleben.

Doch nach kurzem Nachdenken begriff ich, dass es nicht dasselbe ist. Wenn ich als Frau nicht aufhören kann, einer anderen Frau auf die Brüste zu starren, passiert das nicht aus Lüsternheit. Es ist nicht etwa so, dass ich mir wünschen würde, ihren Busen anzufassen. Ich schaue aus dem einzigen Grund, weil ich es schön finde, was ich da sehe. Es ist die Bewunderung, die mich dazu bewegt. Frauen finden Frauen schön.

Die Psychologin Verena Kast hat dazu eine interessante Theorie. In einem ihrer Bücher schreibt sie, dass Frauen deshalb so viel über Hüllen (also Kleider, Kosmetik usw.) reden, weil es komplizierter wäre, über den «Inhalt» der Kleider zu sprechen. Homophobie gibt es also auch unter Frauen, wenn auch in geringerem Ausmass als bei Männern. Die Angst vor gleichgeschlechtlichen Empfindungen scheint eine kollektive zu sein, doch warum eigentlich? Warum können wir nicht ehrlich sagen, wenn uns etwas an einer Frau gefällt – und seien es auch die Brüste?

Im Gespräch mit den Amazonen fiel mir ein, dass ich selbst einmal von einer Frau ein Kompliment für meinen Busen erhielt – und ich es überhaupt nicht als Anmache empfand. Ich erinnere mich, dass ich mich sehr über dieses ungewöhnliche Kompliment freute. Auch wenn mir im ersten Moment die Luft wegblieb. Worauf die Komplimentgeberin locker anfügte: «Sorry, ich sage halt, was ich denke».

Die Amazonen und ich haben uns vorgenommen, in Zukunft ehrlicher zu sein. Warum dauernd über die Hüllen reden, wenn wir doch eigentlich den Inhalt meinen? Der Rotpullifrau konnte ich dann aber doch nicht sagen, dass ich meinen Blick einfach nicht losreissen kann von ihrer wohlgeformten Brust. Noch arbeite ich an meinem Vorsatz…

Dienstag, 27. November 2007

Basteln gegen die Schwermut

Die Amazone fühlt den Winterblues. Ein Glück, dass Kaktusblüte zur Stelle ist.

amazonen_negativ«Ich habe die Sonne schon lange nicht mehr gesehen», sage ich seufzend zu Kaktusblüte. Sonnenlicht bringt mein Biorhythmus in Fahrt und macht mein Gemüt froh, keine andere Lichtquelle kann meiner Meinung nach die Qualität des Sonnenlichts ersetzen. Kaktusblüte und ich liegen auf dem Sofa, eingekuschelt in eine Decke. Müssig betrachte ich den Nebel vor dem Fenster. Ich hasse den Winter mit Leidenschaft. Kaktusblüte erwidert spontan: «Soll ich dir eine zeichnen?» Sie rumort in ihrem Zimmer und kommt kurze Zeit später mit einer Styroporkugel zurück. In die Kugel hat sie Zahnstocher gesteckt, welche die Strahlen symbolisieren. Das ganze Gebilde hat sie flugs mit gelber Farbe angemalt. Dazu reicht sie mir eine Tasse Chai, «für die innere Wärme», wie sie erklärt. Es rührt mich, dass meine Freundin mir eine Sonne bastelt, wenn sie in meinem Leben gerade mal nicht scheint. So fühle ich mich Ernst genommen in meiner Andersartigkeit, damit stärkt sie mich. Die Sonne als Lebensspenderin ist dabei von grosser Symbolkraft.

Dieser lebensbejahende Aspekt an Freundschaft beeindruckt mich. Paarbeziehungen können das nicht in gleichem Ausmass leisten. Ich winde meinen Freundinnen ein Kränzchen – und halte mich bereit, ihnen eine Sonne zu zeichnen, wann immer sie eine nötig haben.

Dienstag, 6. November 2007

Die Samurai

amazonenDie Amazonen und ich sitzen an einem hochnebligen Sonntagnachmittag im Gartenrestaurant auf Holzbänken, in warme Jacken und Wolldecken gehüllt und Chai trinkend. Ein bisschen frieren wir schon, aber es ist der Nachhall einer bunten Party-Nacht, die uns von innen her wärmt. Stunden zuvor war die Feier im Stammlokal noch in vollem Gange, jemand gibt einen Slivovitz aus, wir sitzen im Kreis und leeren das Glas in einem Zug, nach Ritual bespritzen wir anschliessend den Nachbarn zu unserer Rechten mit den letzten Tropfen und stellen das Glas anschliessend mit Gepolter auf den Tisch. Das fühlt sich so richtig versaut an! Genüsslich schlachten wir jedes einzelne Detail des vergangenen Abends aus, lassen es erzählend nochmals Revue passieren und festigen damit unsere Freundschaft. Soziologisch gesehen kommt das wohl einem gegenseitigen Lausen gleich. Natürlich werden auch die Männer zum Thema, wie wäre der, was ist mit ihm… einfach herrlich!

Das Gespräch nimmt mich völlig ein und als ich für einen Moment aus dieser Konzentration auftauche und die Eltern mit ihren schreienden Kindern um uns herum wahrnehme, fühle ich mich ihnen plötzlich sehr überlegen. Schliesslich habe ich etwas, das wahrscheinlich gemeinhin als Wert in unserer Gesellschaft unterschätzt wird: Die Freundschaft vier grossartiger Frauen. Auch wenn ich sie nicht kennen würde, fände ich sie einfach toll. Ihre Freundschaft ehrt mich, und auf jede einzelne bin ich stolz, wie wunderbar sie sich durchs Leben schlägt. An diesem Nachmittag fühle ich mich wie ein Samurai, für den Freundschaft eine Tugend ist aus drei wichtigen Elementen: Respekt, Ehre und Stolz.

Als jede wieder hinaus geht in die dunkle Winternacht, jede in eine andere Richtung, zurück zu ihrem eigenen Leben, klingt dieses Gefühl in mir nach. Im Moment der Abschiedsumarmung mit Kaktusblüte liebe ich den Winter für einen Moment. Denn mit diesen Freundschaften im Rücken fühle ich mich für die dunkle Jahreszeit gewappnet – und stark wie ein Samurai.

Freitag, 19. Oktober 2007

Tabuzone Lindenblütentee

amazonenWenn man mit aufmerksamem Auge durch seine Stadt geht, offenbart sich einem manchmal Kurioses. So habe ich an einer Hauswand in meiner Stadt folgende Zeilen entdeckt: "Tee... so was Langweiliges. Da sagt der Weise zum 18-Jährigen: Es wird die Zeit kommen, in welcher du den Teegenuss verstehen wirst". Der Teegenuss scheint etwas für die Weisen dieser Welt zu sein. Das Verständnis dafür muss man scheinbar förmlich "ziehen lassen". Ich pflege nur in lieb gewordenen Ausnahmefällen Tee zu trinken – zum Beispiel beim Marrokaner – und dann mit ganz viel Zucker. Und in Indien habe ich natürlich viel Tee getrunken. Masala Chai, Kashmiri Kawa (Grüntee) oder Lemon Tea... Indien ist ein wahres Teeparadies! Tee wärmt von Innen und ist gerade in kalten Tagen einfach irgendwie tröstlich. Aber Halt - Tee ist nicht gleich Tee. Der entscheidende Unterschied macht die Sorte.

Die Römerin hat nämlich vor einiger Zeit eine Tee-Theorie aufgestellt: Vom Tee, den Menschen trinken, lässt sich auf deren Charakter schliessen. Wer Vanilletee trinkt, ist ein sinnlicher Mensch, Roibostee-Trinker sind die Weltoffenen, Hagenbuttentee-Trinker solche, die in Dritte-Welt-Läden einkaufen. Eine absolute Tabuzone hingegen ist der Lindenblütentee. Wer im Café einen Lindenblütentee bestellt – und dann noch ohne Zucker!! – dem ist jegliche Lebensfreude abhanden gekommen. Diese Person offenbart sich als Geizkragen oder muss ein völlig übertriebenes Figurbewusstsein haben. Ich habe anfangs nicht ganz verstanden, warum die Römerin sich so über den Lindenblütentee aufregt. Doch als sie mit dem Brustton der Überzeugung ausrief: "Lindenblütentee schmeckt doch nach gar nichts!", wurde mir klar, was sie meinte: Lindenblütentee hat weder Farbe noch Geschmack, eigentlich könnte man genauso gut heisses Wasser trinken. Lindenblütentee-Trinker sind anämische Typen, also Menschen mit akuter Blutarmut.

Man würde es nicht für möglich halten, aber Stil- und Imagefragen entscheiden sich nicht nur am Morgen vor dem Kleiderkasten oder bei der Partnerwahl. Nein, auch so etwas Banales wie eine Bestellung im Café kann dich zu einem ganz bestimmten Typ Mensch degradieren. Jetzt macht auch die Inschrift an der Häuserwand meiner Stadt mehr Sinn: Tee trinken ist wirklich etwas für die Weisen dieser Welt – zumindest in der Öffentlichkeit. Denn die Fettnäpfchen sind manchmal näher, als man sie vermutet.

Dienstag, 25. September 2007

Frauenabend mit Cocktailkirschen

amazonen Sadruschba!" ist ein russischer Trinkspruch und bedeutet "auf die Freundschaft". Im übertragenen Sinn zelebrieren wir Woche für Woche mit einem Frauenabend unsere Freundschaft. Soziologen nennen das Stammlokal, das jeder irgendwie hat, gemeinhin auch das "zweite Wohnzimmer". Auch wir haben das immer getan – mit dem einzigen Unterschied, dass unser Stammlokal auch tatsächlich ein Wohnzimmer war. Ein schräger Künstler-Typ hatte nämlich in unserem Nachbardorf die Idee, den Dachstock seines alten Bauernhauses auszubauen, ein paar Tische aufzustellen und ein Restaurant daraus zu machen. Der grosse, hohe Raum lässt den Dachstock noch erahnen, die Kombination von Eisen und Holz gibt dem Raum die spezielle Note und das so genannte Pornosofa – ein rotes Plüschsofa – sorgt für die Gemütlichkeit. Der Schlosshof – so der schöne Name des Lokals - war gleichzeitig auch das Wohnzimmer der Familie, und einmal pro Woche waren wir da zu Gast. Der Schlosshof als Ort der Begegnung gab unserer Freundschaft einen Rahmen und gleichzeitig gestand er ihr den Raum zu, um sich zu entfalten. Die Spezialbehandlung, die Stammgäste von anderen unterscheidet, wurde uns jeweils in Form einer roten Cocktailkirsche in unseren Getränke zuteil. Die Cocktailkirsche vermisse ich noch heute auf meiner Zunge. Sie ist eine absolute Geniesser-Kirsche, konzentrierte Lebenslust.

Natürlich brach für uns eine Welt zusammen, als der Schlosshof vor einem Jahr seine Tore für immer schloss. Wir waren sozusagen obdachlos geworden. Asyl gefunden hatten wir vorübergehend in einem Szenen-Cafe, doch die laute Musik störte uns beim Reden. Der Frauenabend soll aber ein Platz sein, der ganz und gar der Freundschaft gehört. Seit kurzem gehen die Amazonen und ich deshalb jeden Mittwochabend nach Marokko. In einem marokkanischen Restaurant im Kaffeehaus-Stil glauben wir, unsere Heimat gefunden zu haben. Und – man glaubt es kaum – sogar für die Cocktailkirsche gibt es marokkanischen Ersatz: In Form des köstlichen marokkanischen Grüntees - Nâa-naa - der mit frischen Pfefferminzblättern und viel Zucker süss und nach Lebenslust schmeckt. Ein herzhaftes "Sadruschba!"

Sonntag, 9. September 2007

Flotte Sprüche und Kaffee

amazonenUnisex kann beim Parfum funktionieren, nicht aber bei Kult-Serien. Die sind für ein geschlechtsspezifisches Publikum gemacht. Sie sind eingeteilt in «Männerserien» oder «Frauenserien». Männer lieben Homer Simpson, Frauen «Sex in the City». Auch Kaktusblüte und ich haben schon seit längerer Zeit unseren Favoriten: Wir lieben die «Gilmore Girls». Und wenn Kaktusblüte und ich uns über die neusten Geschehnisse im Leben von der schlagfertigen, kaffeesüchtigen Lorelei und ihre Tochter Rory austauschen, sind wir nicht mehr zu bremsen, ja wir geraten in einen regelrechten Rausch und sind für unsere Aussenwelt unansprechbar. Wir kommentieren die neusten Entwicklungen im Leben der beiden, lästern über die Kerle - wir leiden und freuen uns mit. Jedes Mal halten wir dann einen Moment in unserem Redeschwall inne und eine von uns spricht aus, was beide denken: «Wir hören uns an, als würden sie leibhaftig existieren!»

So richtig schön ist das Verfolgen einer Serie nur, wenn es eine Freundin gibt, mit der man sich darüber unterhalten kann. Denn eigentlich tun die Gilmores das, was wir alle auch tun – nur haben sie eindeutig die flotteren Sprüche auf Lager. Die Gilmore Girls halten zusammen wie Pech und Schwefel, bilden eine Einheit, fühlen sich enttäuscht, traurig, aufgedreht - es ist die Gefühlspalette, die es ausmacht. Und das ist es wahrscheinlich auch, was die Serie so spezifisch weiblich macht. «Die Dialoge sind so witzig», versuchen wir die weniger euphorischen Amazonen zu überzeugen. Aber irgendwie will der Funke nicht so recht springen. Eine kleine Google-Recherche bestätigt den Verdacht: Eine Episode der Serie umfasst 75 bis 80 Seiten Drehbuch, während Drehbücher anderer Serien üblicherweise nur 40 bis 50 Seiten zählen. Auch das ist wahrscheinlich ein sehr weibliches Phänomen. Wortwitz gefällt, es ist der subtilere Humor. Und hier setzt auch der Aspekt der Identifikation ein: Mein Anspruch an eine Serie ist, dass ich mich mit den Protagonistinnen identifizieren kann. Bei der wortgewandten, eigenständigen, sexy Lorelei fällt das doch ziemlich leicht.
Und fürs Protokoll: Frauenserien sind für Männer ein perfekter Anschauungsunterricht in Sachen Frauen – und umgekehrt. Vielleicht sollte ich mir doch wieder mal eine Serie der «Simpsons» anschauen??!

Donnerstag, 6. September 2007

Lockenkopf als Sammleramazone

amazonenEine Sammlerleidenschaft haben viele Menschen. Katzenfiguren, Briefmarken oder Kaffeerahmdeckel sind die Klassiker. Manchmal ist das Sammeln aber auch so nah am Menschen und seinen Interessen, dass es gar nicht so auffällt. Ich bin ein Wortmensch und sammle daher Worte. Wenn ich beispielsweise ein Buch lese und mir gefällt eine Passage oder auch nur ein einzelner Satz besonders gut, schreibe ich ihn zuerst in mein Tagebuch und später in ein eigens dafür vorgesehenes Notizbuch. Dieses Büchlein ist mir heilig, ich verwende darin meine Schönschrift und es tut gut, eine Sammlung von Wortzitaten zu haben, die mich irgendwann einmal berührt haben. Das Büchlein ist sozusagen ein kleines literarisches Kaleidoskop meines Lebens und niemand weiss davon. Das Sammeln passiert so im Vorbeigehen.

Auch Lockenkopf hat eine Sammlerleidenschaft, von der ich bisher nicht direkt etwas wusste. Lockenkopf ist ein kreativer Kopf und was sie über alles liebt, ist basteln. Wenn sie also bei jemandem zu Hause ist und etwas selbst Gebasteltes sieht, merkt sie sich die Idee. Damit ist es aber nicht getan. Sie sammelt auch Materialien aus der Natur, von denen sie weiss, dass sie sie irgendwann für ihre Basteleien verwenden könnte. Ihr Lieblingsmensch hat sich bereits beschwert, dass Lockenkopf auf Wanderungen bei jedem Stein stehen bleibt und ihrer Sammlerleidenschaft frönt.

Und einmal trieb sie es auf die Spitze: Auf einem Spaziergang im Wald hatte sie einen besonders schönen Wurzelstrunk gesehen. Weil er etwas klobig und gross war, liess sie ihn schweren Herzens zurück. Weil sie ihn aber nicht vergessen konnte, fuhr man mit dem Auto zur besagten Waldlichtung zurück um ihn zu holen. In der Zwischenzeit hatte sich eine Familie auf der Lichtung fürs Grillieren eingerichtet und war im Begriff, ein Lagerfeuer zu entzünden. Als Lockenkopf die Lichtung erreicht, registriert sie nur noch die Wurzel – ihre Wurzel – die soeben ins Feuer geworfen wird und zu brennen beginnt. Ihre Lieblingsmensch soll noch zu ihr gesagt haben: «Diese Wurzel brauchst Du doch nicht». Aber für Lockenkopf gibt’s jetzt kein Halten mehr und sie schreitet amazonenmässig zur Tat. Wie eine Verrückte springt sie aus dem Wald heraus auf die Lichtung und schreit: «Das ist meine Wurzel!» und zieht die bereits brennende Wurzel beherzt aus dem Feuer. Die Familie macht natürlich grosse Augen. Eine Frau, die aus dem Wald springt und Anspruch auf eine Wurzel erhebt, ist ihnen nicht geheuer. Und der Lieblingsmensch steht daneben und schämt sich ein bisschen. «Mir hat das Herz geschmerzt, als ich die schöne Wurzel im Feuer gesehen habe», berichtet sie mir später. Durch das Feuer sehe sie jetzt leicht angekohlt aus und das mache sie noch viel spezieller, meinte sie noch.

Donnerstag, 16. August 2007

Der Distel-Mann

amazonenWir waren ungefähr siebzehn oder achtzehn, als meine Freundinnen und ich im Zug – damals, als es noch Raucherabteile gab - einen kauzigen Typen kennen lernten. Auf der Ablage befand sich eine Distel. Wir kamen ins Gespräch und er erklärte uns, die Distel sei ein Geschenk für seine Freundin, die nächste Woche in die Ferien fahre. Eine rote Rose oder eine Sonnenblume würde schnell verwelken und könne sie auch nicht mitnehmen, eine Distel hingegen wäre länger konservierbar. Die Freundin war gleichzeitig die Freundin seines Bruders. Beide Männer hatten etwas mit derselben Frau und alle drei wohnten im gleichen Haushalt.
Die Geschichte faszinierte uns wohl, aber irgendwie fanden wir sie auch abstossend. Ich weiss noch, wie wir uns bei ihm darüber empörten. «Wie kannst Du das nur machen?», fragen wir ihn. Er lachte nur und fragte, wie alt wir seien. Als wir es ihm sagten, meinte er nur: «Ihr seid jetzt erst achtzehn. Ich bin fünfundzwanzig, da relativieren sich solche Dinge. Wartet nur, ich werdet schon sehen». Ich habe das all die Jahre hindurch nie mehr vergessen. Heute bin ich selber fünfundzwanzig und es dämmert mir, dass er absolut Recht hatte.

Mit achtzehn hat man noch das Ideal der einzigen, wahren grossen Liebe. Man wünscht sich tausend rote Rosen, die vom Himmel regnen oder dann den schmerzlichsten Liebeskummer aller Zeiten, natürlich mit Suizidgedanken. Man lebt und denkt in den Extremen, schwarz oder weiss. Grautöne existieren nicht. Mit der Zeit, je älter man wird, passen sich die hohen Ansprüche immer mehr der Realität an. «Wir werden grau», nennen es der Eremit und ich. Man ist schon zufrieden, wenn man eine Liebe hat, es muss nicht unbedingt die grosse sein. Man schenkt plötzlich Disteln, weil die einfach viel länger haltbar sind als rote Rosen. Man wird vom Dogmatiker zum Pragmatiker. Natürlich nicht nur in der Liebe, sondern in vielen anderen Lebensbereichen. Irgendwie fängt man an, sich ein bisschen durchzumogeln durch ein Projekt, das unser Leben bedeutet.

Der Eremit und ich haben vor kurzem lange über dieses Thema geredet. «Wir werden grau», grau als die Farbe zwischen weiss und schwarz. Es ist die fatale Erkenntnis, dass auch wir vor dem Erwachsenwerden nicht verschont bleiben.
Nun geht es eigentlich nur noch darum, möglichst lange so wenig grau wie möglich zu bleiben. Oder das Blaue reinzubringen, das die so eigentümliche Farbe der Distel ausmacht. Blau als die Farbe der Weite, des Himmels und des Meers. Auch der Distel-Mann war so ein Typ: Er machte in seiner offensichtlichen Grauheit doch noch einen ziemlich unkonventionellen Eindruck. Und immerhin hatte er die Fähigkeit, darüber zu reflektieren, was mit ihm geschah. Ich finde es schön, dass meine Freundinnen und ich schon über so viele Entwicklungsstufen hinaus auf ein gemeinsames Leben blicken können. Mit ihnen macht sogar das grau werden irgendwie Spass.

Freitag, 3. August 2007

How a lady can misbehave

amazonenWir alle haben so unsere Fantasien: Lockenkopf träumt manchmal davon, nackt auf einem Velo Flitzerin zu spielen und ich kann mich einfach nicht von der Vorstellung lösen, es könnte ein Gaudi sein, an einem Geburtstag mit einem Stripper überrascht zu werden, der aus einer Torte gumpet. Die Römerin stellt sich manchmal vor, wie es wäre, probeweise an einem anderen Ort unter anderem Namen zu leben – sei es auch nur für eine Woche. Natürlich sind das nur Gedankenspielereien. Die feineren Töne entstanden, als ich kürzlich unvermittelt die Frage in die Runde warf: "Und wo steht ihr in fünf Jahren?", zusammen mit dem Nachsatz: "Nicht lange überlegen, einfach raus damit!". Der Eremit ist dann gerade mit dem Studium fertig. Die Römerin möchte Fotografin sein und ich verkündete - ein bisschen zu meiner eigenen Überraschung - dass ich in fünf Jahren ein Buch herausgegeben haben will. Es kann sehr erfrischend sein, zwischendurch uneingeschränkt ehrlich zu sein mit sich selbst. Das bedingt aber auch, die Träume der anderen mitzutragen. Lockenkopf und Kaktusblüte möchten in fünf Jahren nämlich beide Windeln wechseln – nur schon bei der Vorstellung daran sträuben sich bei uns anderen die Nackenhaare. Auf der Autofahrt zu unserem Frauenwochenende in die Berge lachten wir uns dann über die Vorstellung kaputt, wie Lockenkopf dem Babyblues zu begegnen gedenkt: Da sie schon lange den Wunsch hegt, so richtig männlich mit der Motorsäge Holzskulpturen anzufertigen (ein Holzbildhauer hat ihr bereits vehement davon abgeraten) malten wir uns aus, wie sie mit der Motorsäge hantiert, während ihr Baby daneben mit gelben, natürlich viel zu grossen Baustellenohrenschützen auf dem Kopf selig schläft. "Dann hörst Du wenigstens nicht, wenn es schreit!", meinten wir.

Auf dem Berg im Ferienhaus sind dann ausgerechnet die Römerin und ich in die Spielzeugproduktion gegangen: Die Römerin hat in einem kreativen Schub ein Bilderbuch illustriert, während ich in einer plötzlichen Anwandlung ein Märchen verfasste. Es einfach schreien zu lassen ginge doch etwas zu weit. Du winziges uns suspektes Ding, wir werden für Unterhaltung sorgen, wenn Mama Lockenkopf die Motorsäge aufheulen lässt…! Vielleicht ist aber auch der Anblick von Lockenkopf mit der Motorsäge allein schon Unterhaltung genug.

Das Original ist einzusehen auf tink.ch

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