Randolph

Freitag, 24. Dezember 2010

Mit Randolph durch den Advent - letzter Teil

Der gelb-grüne Papagei im Schaufenster des kleinen Barbiergeschäfts krächzte ununterbrochen einen englischen Namen. Es hörte sich an wie «Lane.» «Halt den Schnabel, Lady Montgomery!», tönte es energisch aus dem Laden. Ein Mann mit strähnigem langem Haar hantierte darin mit Schere und Kamm an der Haarpracht eines Kunden herum. Heute war viel Betrieb, schliesslich wollte sich jeder für das Weihnachtsfest herausputzen. Weihnachten wurde auf den Philippinen gross gefeiert. Für die Festlichkeiten mussten Bärte gestutzt, Brauen gezupft und Haaröl aufgetragen werden. Der Duft von Seifenlauge lag in der Luft. «Sie haben aber einen schönen Weihnachtsbaum hier im Laden», bemerkte eine Kundin anerkennend, die unter der Trockenhaube eine Zigarette rauchte. Der Barbier lächelte zufrieden. «Randy the Barber», stand in bunten Lettern an der Aussenfassade des kleinen Geschäfts.


FROHE WEIHNACHTEN!

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Mit Randolph durch den Advent - Teil 23

Ob Barbara wohl einen Mann gefunden hatte, mit dem sie einen Weihnachtsbaum kaufen konnte?, grübelte Randolph. Es kam ihm vor, als würde es bereits Jahrzehnte zurückliegen, seit er nach Tansania gekommen war. Im gleichen Klub hatte er einen Bekannten von Barbara, einen Staatsangestellten, kennen gelernt, der ihm die Farm zusammen mit den umliegenden Ländereien verkauft hatte. Randolph seufzte. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass er in kalten Winternächten nie mit seinen Enkeln um dieses Kaminfeuer sitzen und ihnen all die verrückten Geschichten seines Lebens erzählen würde. Er hielt inne. «Elaine?» Es war plötzlich seltsam still im Haus. «Elaine?» Er stand auf und ging ins gemeinsame Schlafzimmer. Die weissen Bettlaken waren zerwühlt, Elaines Seidenkleid lag auf dem Boden. Das Zimmer war leer. Elaine war weg.

Mit Randolph durch den Advent - Teil 22

Und so hatte er den Boden Tansanias zum ersten Mal betreten, mit einer Konzertcellistin und einem Cello namens Thaddäus Mistletoe im Schlepptau. «Mother Africa», jauchzte Barbara, kniete sich runter und küsste den Boden. Okay, vielleicht war die Cellistin doch etwas durchgeknallt. Das Gute an der Bekanntschaft mit Barbara war, dass sie hier jeden kannte. Und sie verlor keine Zeit, ihm alle einflussreichen Leute vorzustellen. Gleich am ersten Abend nahm sie ihn mit den Klub, der nur Mitgliedern Eintritt gewährte. Barbara hatte sich für diesen Abend herausgeputzt, sie trug ein gewagtes grünes Kleid mit Seitenschlitz. «Weisst du, Randolph, manchmal bin ich etwas einsam», vertraute sie ihm an. Aus einem Grund, den er selber nicht kannte, begann er Barbara von der jungen Filipina zu erzählen, die er brüsk in Saigon zurück gelassen hatte. «Du musst sie heiraten», lallte Barbara, und hängte sich an Randolph. Den letzten Gin Tonic hätte sie nicht mehr trinken sollen. Sie weinte fast. «Du musst.... sie...... heiraten», insistierte sie. «Du liebst sie doch», sagte Barbara beschwörend, bevor sie zu schluchzen begann: «Ich wünsche mir doch nur einen Mann, mit dem ich einen Weihnachtsbaum kaufen kann. Kein Auto, kein Haus, nur einen gemeinsamen Weihnachtsbaum!», und dann legte sie sich hin und war Sekunden später auch schon in einen tiefen Schlummer gefallen. Barbara sägte auf dem Teppich des Klubs wie ein bärtiger Waldschrat.

Dienstag, 21. Dezember 2010

Mit Randolph durch den Advent - Teil 21

Randolph lauschte auf das Brummen der Triebwerke, er schaute aus dem Fenster aufs Wolkenmeer, auf dem Sitz neben sich ein mannshohes Cello mit einem sonderbaren Namen. Die Cellistin schlief mit offenem Mund. Er kam sich idiotisch vor. Als das Essen serviert wurde, war die Cellistin wieder munter. «Wissen sie, ich muss dem Cello immer einen Namen geben.» Sie unterhielten sich über das Instrument hinweg. «Die brauchen einen fürs System.» Vielleicht war die Frau doch nicht so durchgeknallt, wie er anfangs befürchtet hatte. «Ich habe nie verstanden, warum ein Cello so gross sein muss», brummte Randolph, während er ein Stück Poulet kaute. «Bis froh, dass ich nicht Harfe spiele.» Als der Pilot durch die Lautsprecher den Landeanflug auf den Flughafen von Dar es Salaam ankündigte, sass Randolph auf dem Mitteplatz und unterhielt sich angeregt mit der Cellistin. Grosszügig wie er war, hatte er Thaddäus Mistletoe den Fensterplatz überlassen.

Montag, 20. Dezember 2010

Mit Randolph durch den Advent - Teil 20

Sie hatten ihn auf den Polizeiposten gezerrt und ihn vier Stunden lang einzeln verhört. Doch weil ihm keine aufrührerischen Absichten nachgewiesen werden konnten, liessen sie ihn laufen, mit der Auflage, das Land innerhalb der nächsten 24 Stunden zu verlassen. Das erste Flugzeug, das er erwischen konnte, ging nach Dar es Salaam. Tansania – warum nicht? Er wollte einfach nur weg. Mit angespannten Nerven nahm er seinen Sitzplatz ein und wartete, bis die Maschine abhob. Eine Frau mit schulterlangen Haaren tauchte in seiner Reihe auf. «Hier sitzt Thaddäus Mistletoe», sagte sie und deutete auf den Sitz in der Mitte. «Ich nehme immer den Gangplatz.» Und schon wuchtete sie einen weissen Cellokoffer auf den Sitz zwischen ihnen. «Der Sitz ist bezahlt», sagte die Cellistin und zwinkerte ihm zu.

Sonntag, 19. Dezember 2010

Mit Randolph durch den Advent - Teil 19

Randolph schüttelte ungläubig den Kopf, während er das Tigerfell mit dem Fuss streichelte. Manchmal konnte er heute noch nicht glauben, dass er das tatsächlich erlebt hatte. Diese Geschichte hatte Potential, er stellte sich vor, wie er sie in kalten afrikanischen Winternächten seinen Enkeln erzählen würde. Elaine hingegen hasste die Geschichte. Sie glaubte, er wollte ihr damit weh tun, schliesslich war er damals wegen ihr in den Iran geflüchtet. Er seufzte. Ja tatsächlich, damals war er wirklich mit einem blauen Auge davongekommen.

Samstag, 18. Dezember 2010

Mit Randolph durch den Advent

Randolph ging an die Bar, um sich etwas zu erholen. Eine junge Iranerin mit einem blumenbedruckten Kopftuch setzte sich neben ihn und zog eine Zigarre aus der winzigen Handtasche. «Jeder Frau ihre Romeo&Juliet», sagte sie und machte sich daran, die Zigarre zu entzünden. Sie schmauchte genussvoll und taxierte ihn dabei eindringlich mit ihrem Blick. «Du bist mit Agmal hier, nicht wahr?» Randolph bejahte. «Wir haben uns vor einer Stunde am Flughafen kennen gelernt.» - «Und was führt dich in den Iran?» - «Kulturelles Interesse», sagte Randolph schnell. Die fremde Zigarrenraucherin wedelte mit ihren rot lackierten Fingernägeln, um die Glut zu erhalten und seufzte resigniert. «Schätzchen, dafür bist du hier am falschen Ort.» Ihr Kopftuch war ihr auf die Schultern gerutscht, doch sie liess es gewähren. «Die kulturellen Reichtümer werden dem Verfall ausgeliefert. Alles, wofür sich die Regierung interessiert, ist, uns am Denken zu hindern.» - «Und – denkst du trotzdem?», wagte Randolph zu fragen. «Ich muss. Es wäre fahrlässig, es nicht zu tun», sagte die Iranerin und drückte die halb gerauchte Zigarre im Aschenbecher aus. Sie rutschte vom Barhocker. «Doch das gefällt hier nicht allen. Nimm dich in Acht, es gibt immer wieder Razzien bei solchen illegalen Versammlungen», sagte sie noch. Dann war sie weg. Randolph wurde es mulmig und er beschloss, dass es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war, in den Iran zu kommen. «Ein heisses Pflaster, dieses Iran», liess er Elaine per sms wissen. Als er aufblickte, schaute er geradewegs in den Lauf einer Pistole.

Freitag, 17. Dezember 2010

Mit Randolph durch den winterlichen Advent - Teil 17

Sein Gastgeber führte ihn zu der kleinen improvisierten Bar und schenkte ihm Whisky ein. «Es gibt in diesem Land nur noch etwas, das sündhafter ist als Frauen und Alkohol», sagte er. «Glücksspiele.» Agmal grinste und trat zu einem der Tische. «Poker ist die Lieblingsbeschäftigung iranischer Frauen.» Randolph blickte in die Runde. Vier junge Perserinnen schauten ihn aus grossen mandelförmigen Augen an. In der Mitte häufte sich bereits einen Berg Dollarnoten. Sie forderten ihn zum Mitspielen auf. Da Randolph kein Bargeld für den Mindesteinsatz auf sich trug, zog er hilflos sein zerfleddertes Gandhi-Exemplar aus der Jackentasche. Ein Raunen ging durch die Runde. «Hast du noch mehr Bücher dabei?», bestürmten die Frauen ihn aufgebracht. Eine packte ihn sogar am Kragen. Schützend hielt Randolph seine Hände vors Gesicht. «Nein, nichts mehr. Nichts mehr.» Als die Karten ausgeteilt wurde, wichen Spass und Ausgelassenheit einem plötzlichen Ernst. Randolph verlor sein Gandhi-Exemplar in der ersten Runde.

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Mit Randolph durch den Advent - Teil 16

Sein neuer iranischer Freund Agmal und sein Bruder schlugen noch einen kleinen Abstecher an eine Party vor. Randolph erklärte sich einverstanden, schliesslich hatte er keine Pläne. «Wir nehmen dich mit an eine sehr iranische Party», sagte Agmal und lachte. Das Haus sah von aussen unbewohnt aus. Kein Licht brannte, kein einziges Auto stand vor dem Haus. Sobald sie ausgestiegen waren, trat der Bruder aufs Gaspedal und fort war er. Randolph wurde es unbehaglich zumute. Agmal führte Randolph ums Haus herum und dort durch den Hintereingang in den Keller. Als sie den feuchten Kellerraum betraten, staunte Randolph nicht schlecht: Er war in eine illegale Pokerrunde geraten, an langen Tischen sassen Frauen in Kopftüchern und gambelten um die Wette. Die modischen Kopfbedeckungen waren im Eifer des Spielens nach hinten gerutscht und offenbarten einzelne Haarsträhnen. Einige der Männer spielten mit, andere standen im Kreis und tranken Hochprozentiges. In diesem Land spielte sich das wahre Leben im Hinterzimmer ab, das wurde Randolph auf einen Schlag bewusst.

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Mit Randolph durch den Advent - Teil 15

Bei seiner Ankunft in Teheran empfing Randolph ein wolkenverhangener Himmel, es regnete in Strömen. Er kultivierte eine Mini-Depression. Beim Gepäckband musterte ihn ein anderer Flugpassagier mit Bart und Lederjacke so eindringlich, dass Randolph sich unbehaglich zu fühlen begann. Er überlegte, wie er zu erkennen geben konnte, dass er in freundlicher Absicht gekommen war. Schliesslich nahm er sein Büchlein mit Gandhi-Zitaten hervor, das er für solche Notfälle immer dabei hatte, und tat so, als würde er darin lesen. Er hoffte, dass Gandhi auch im Iran ein Begriff war. Der Bärtige mit den dunklen Augen nahm seinen Koffer vom Band und trat näher an Randolph heran. «Müssen Sie in die Innenstadt? Mein Bruder wartet draussen, um mich abzuholen. Sie können mitfahren.»

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