Mittwoch, 24. Februar 2010

A lot can happen over coffee

In der italienischen Kaffeebar, wo ich am Morgen meinen Kaffee hole, ist mir heute eine Zeitung aufgefallen, die ausgebreitet auf einem der Gästetische lag. Sie sah ziemlich mitgenommen aus, die Ränder voll gekritzelt, mit einem dicken Flizschreiber waren Wohnungsinserate eingekreist, braune Kaffeetassenflecken zeichneten ein Muster ins Papier. Unvermittelt musste ich an die Werbung der indischen Kaffeehauskette «Cafe Coffeedays» denken. «A lot can happen over coffee»; viel kann passieren über einer Tasse Kaffee. Man sieht eine Wohnung ausgeschrieben, findet eine neue Stelle oder einen neuen Partner und kann ein neues Kapitel seines Lebens aufschlagen. Was bei der Zeitungslektüre nie fehlen darf ist eine richtig schöne, heisse, dampfende Tasse Kaffee, ein Muntermacher, der einem den nötigen Energieschub für einen neuen Tag und damit für neue Plänen verleiht. Eine gute Tasse Kaffee kann den schlimmsten Tag erträglich machen, einen Moment des Nachdenkens verschaffen oder eine Romanze wieder aufleben lassen. (Pendergrast, S. 15) Kaffee trinken ist weit mehr als purer Genuss. Kaffee trinken ist ein Lebensgefühl.

Diese Gedanken begleiten mich heute durch den Tag, und soeben wurde ihnen durch ein nettes Vorkommnis noch eine zusätzliche Dimension verliehen. Mauro möchte mit mir Kaffee trinken gehen! Innerlich habe ich gejubelt, als er mich gefragt hat, gegen aussen jedoch blieb ich die Ruhe selbst und tat ein bisschen so, als wäre ich gerade furchtbar beschäftigt. Ich darf also an dieser Stelle festhalten: Heute ist der Tag meines Eisprungs (rechte Eicherstocksteite), ich trage meine heiss geliebten braunen Wildlederstiefel und in einer halben Stunde bin ich zum Kaffeetrinken verabredet.

«A lot can happen over coffee», zum Beispiel bei einem werbenden Pärchen. Das Bindemittel ist der Kaffee, und gleichzeitig kaschiert er auch die Verlegenheit. Schliesslich kann man sich an einer Kaffeetasse festhalten, und sollte es zu allzu starken Gefühlen der Verlegenheit kommen oder im Gegenteil zur grossen Ernüchterung, kann man das Treffen eine Kaffeepausenlänge später abbrechen und wieder zum Alltag übergehen, als wäre nichts geschehen. Aber nicht nur in der Liebe, auch in allen anderen Beziehungen zwischen Menschen spielt der Kaffee eine bedeutende Rolle: Wer liebt es nicht, nachmittags mit einer guten Freundin im Café zu sitzen und vor einer grossen Tasse Capucchino über das Leben zu philosophieren?! Es ist unbestritten: Kaffee hat eine soziale Bedeutung. Und während Tee vor allem tröstet, regt Kaffee uns an, er ist ein sozialer Stimulator. Der Kaffeetratsch oder das «Kaffeekränzchen» mag für uns eher etwas Weibliches sein, doch wirft man einen Blick in die Geschichtsbücher, stellt man fest, dass vor allem Männer einst dem schwarzen Gebräu zugeneigt waren. Kaffee ist ein gesellschaftliches Bindemittel, ein Zungenwärmer, ein Gedankenernüchterer, ein Anregungsmittel für den Geist und, wenn man möchte, ein Abwehrmittel gegen den Schlaf. (Pendergrast, S.?)

Der Ursprung des Kaffees geht nach Afrika zurück, nach Äthiopien, um genau zu sein. Über den Suezkanal kam die Kaffeekirsche in die arabische Welt. Dort wurde der Kaffee «Qahwa» genannt, ein arabisches Wort für Wein. Mit seiner steigenden Popularität entstanden bald die ersten Kaffeehäuser. Noch heute sind die Kaffeehäuser in der arabischen Welt eine Institution. Reinhard Hesse, «Merian»-Reporter, fasst es folgendermassen in Worte: «Sie sind weit mehr als ein Ort des Zeitvertreibs, wo Araber Kaffee trinken, Pfeife rauchen und Backgammon spielen. Ein Kaffeehaus in Kairo ist zugleich Büro, Informationsbörse, literarisch-politischer Salon, Ankerpunkt der Menschen im grossstädtischen Mikrokosmos sowie Arbeitsplatz für allerlei fliegende Händler und Dienstleister.»

Auf dem Weg zu Mauro und meiner Lieblingskaffeebar überrumpelt mich eine plötzliche Gewissheit: Bei einer Tasse Kaffee ist in der Geschichte sehr viel mehr passiert, als ein paar zaghafte Werbungsversuche zwischen den Geschlechtern jemals ausrichten können. Über Kaffee wurden soziale Aufstände organisiert, Gedichte verfasst, ja über Kaffee wurde die Welt aus den Angeln gehoben! Die Werbung «A lot can happen over coffee» erhält so nochmals eine ganz andere, viel weitreichendere Bedeutung. Als ich am verabredeten Ort eintreffe, sitzt Mauro schon dort und liest. Er sieht friedlich aus, sein Profil wird von der Sonne beschienen. Für einen Moment halte ich inne und labe mich an seinem Anblick. Dann betrete ich das Café, küsse ihn auf die Wange und bestelle mir einen dieser schaumigen Cappucchinos in diesen bauchigen Tassen. Das fühlt sich so richtig gut an.

Ob es wohl am Koffein liegt, oder ob da noch andere Faktoren eine Rolle spielen, ist ungewiss. Fest steht, dass der Kaffee tatsächlich schon immer als eine Art Katalysator diente, um Veränderungen herbeizuführen. Die Kaffeehäuser boten Platz, um Revolutionen zu planen, Gedichte zu schreiben, Geschäfte abzuschliessen und Freunde zu treffen. (Pendergrast, S. 16) In «All about coffee» hat William Ukers 1935 geschrieben: «Wo auch immer er [der Kaffee] eingeführt wurde, bedeutete er Revolution. Er war das radikalste Getränk der Welt, weil seine Funktion stets darin bestand, die Menschen zum Denken zu bewegen.» Da erstaunt es nicht, dass in der arabischen Welt sowie in Europa die herrschende Elite mehrmals versucht hat, den Kaffee als «Ursache revolutionären Aufruhrs» zu verbieten. Doch durchsetzen liess sich ein solches Gesetz nie.

Es scheint fast so, als hätte der Kaffee schon immer mehr Freunde als Feinde gehabt. «So viel Geschrei um ein bisschen schwarze, bittere Brühe», denke ich, als ich nach dem Kaffeetrinkdate mit Mauro an meinen Stand zurückkehre. «Dabei handelt es sich doch eigentlich nur um den Fruchtkern eines äthiopischen Strauchs», hatte Mauro ganz richtig bemerkt. Über meine genaue Sachkenntnis, welcher Kaffee wo am Flughafen am Besten schmeckt, konnte er sich sehr amüsieren. Dabei bildeten sich ganz kleine, feine Lachfältchen um seine Augen. «Ich weigere mich einfach standhaft, Pfützenwasser zu trinken!», brachte ich zu meiner Verteidigung hervor. Und fügte mit dem Brustton der Überzeugung hinzu: «Das Leben ist einfach viel zu kurz für schlechten Kaffee.»

Wo sich ein angenehmes Denk-Klima herausbildet, zieht es auch eine andere Gruppe Menschen hin: Philosophen, Literaten und Intellektuelle. In Wien wurde der Kaffee innerhalb weniger Jahrzehnte zum Treibstoff für das intellektuelle Leben der Stadt, in Grossbritannien wurden die Kaffeehäuser als «Pfenniguniversitäten» bekannt, weil man für diesen Preis eine Tasse Kaffee bekam und dabei stundenlang aussergewöhnlichen Unterhaltungen lauschen konnte. (Pedergrast, S.31) Die Theorie auf die Spitze treibend, kann man sagen, dass die Cafés ein solch wunderbares intellektuelles Klima erzeugten, was letztendlich die französische Revolution hervorbrachte. Und es bestreitet wohl niemand, dass die französische Revolution mit ihrem Leitsatz von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit so etwas wie die Wiege unserer demokratischen Kultur ist. Hauptkatalysator für eine solche tiefgreifende, gesellschaftliche Reform war nichts anderes als eine Kaffeekirsche von einem äthiopischen Strauch! Das gefällt mir. Man sollte die Bedeutung des Kaffees in der Geschichte niemals unterschätzen.

Doch was ist in Zeiten von «Starbucks» davon geblieben? Der «Starbucks»-Kult hat wieder andere Menschen hervorgebracht, die sogenannten «globalen Nomaden», die überall auf der Welt zu Hause sind, und von überall aus arbeiten können. Alles, was sie dafür brauchen, ist eine Steckdose und einen Internetanschluss. Sie sind Projektarbeiter; sie arbeiten, wie sie leben und sie leben nicht, wie sie arbeiten. Im «Starbucks», dem Kaffeehaus der Moderne, profitieren sie von diesem geistig anregenden Klima und doch ist jeder letztendlich ganz für sich allein. Vielleicht hat die globale Vernetzung übers Internet die Versammlungsmentalität der Kaffeehäuser überflüssig gemacht. Im «Starbucks» lebt dieses geistige Klima dennoch irgendwie weiter, wenn auch viel kommerzialisierter. Und doch findet man sie überall auf der Welt, sobald man einen «Starbucks» betritt: Menschen an ihren PC's, die aussehen, als würden sie mit ihrem Apple Mac gerade die Welt revolutionieren. Sie sind die geistige Elite der Neuzeit, die Descartes und Sartres des 21. Jahrhundert. Ob sie dabei nur so tun, als wüssten sie die Antworten, während sie in ihre Bildschirme starren, wird immer ein Geheimnis bleiben. Denn das ist ja gerade das Faszinierende am Kaffee: Beim Kaffeetrinken kann von fast nichts bis fast alles geschehen. Kaffee ist wie das Leben selbst, er enthält die ganze Bandbreite. Und manchmal, manchmal bleibt auch ein bitterer Nachgeschmack zurück. Ich habe ein Mittel gefunden, das zu vermeiden: Meistens lasse ich den letzten Schluck ganz einfach in der Tasse stehen. Und was Mauro betrifft: Das Kaffeetrinkdate war schön. Vielleicht wiederholen wir es bei Gelegenheit.

Zumindest wird er sich nicht genötigt fühlen, sein Kaffeegenuss auf so kreative Art und Weise rechtfertigen zu müssen wie die britischen Männer im 17. Jahrhundert. Damals fürchteten die Frauen nämlich um den Sittenzerfall ihrer Männer und hätten die Kaffeehäuser gern geschlossen gesehen. Die Männer jedoch meinten, der Kaffee sei weit davon entfernt, sie impotent zu machen, er mache Kaffee die Erektion kraftvoller, die Ejakulation gehaltvoller und füge dem Sperma eine geistige Komponente hinzu...


Quellen:

Kaffee. Wie eine Bohne die Welt veränderte. Mark Pendergrast. Edition Temmen.
«Genuss des Müssiggangs». Reinhard Hesse. In: Merian. Ägypten. August 2001

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