AMAZONEN-GESCHICHTEN

Dienstag, 7. Juli 2009

Der Bleistift-Test

amazonen_negativDie Sauna ist wie der Zug ein idealer Ort, um Fremde beim Gespräch zu belauschen. Eine Zeitlang war Lockenkopf eine ziemlich exzessive Saunagängerin. Einmal hatte sie es sich gerade mit ihrem Badetuch auf den heissen Holzbrettern bequem gemacht, als sie den Begriff „Bleistift-Test“ aufschnappte. Der Bleistift-Test, erklärte eine Frau ihrer Kollegin, sei ein Trick, um zu eruieren, inwieweit die Brüste dem Gesetz der Schwerkraft bereits gefolgt seien. Dabei klemme frau sich ganz einfach einen Bleistift zwischen Brust und Bauch. Findet der Bleistift kein Fleisch, um sich festzuklammern und fällt deshalb runter, kann das nur eins bedeuten: Die Brust ist immer noch straff. Die Saunafrau in Lockenkopfs Sauna meinte dazu trocken: «Weiss du, früher war es noch ein Bleistift, heute findet an dieser Stelle eine ganze Farbstiftschachtel Platz!»

Lockenkopf und ich sind natürlich gleich gerannt, um die Probe aufs Exempel zu machen. Kaum zu Hause, entledige ich mich meinem T-Shirt und dem BH und platziere den Bleistift am besagten Ort. Mit dem Telefonhörer zwischen Kopf und Schulter geklemmt, berichte ich Lockenkopf brühwarm von der Test-Front: “Zwischen meinen Hautfalten findet locker ein Bleistift Platz“, sage ich zu ihr. «Sitzt Du?», fragt mich Lockenkopf am anderen Ende der Leitung. Ich bejahe. «Du musst halt schon aufstehen!» In stehender Position ergibt sich jedoch dasselbe Bild: Der Bleistift hält und hält, wenn auch mit etwas mehr Spielraum.

Geknickt von diesem Resultat, tröste ich mich mit dem Gedanken, dass es immerhin mit der Farbstiftschachtel schwierig werden könnte. Ausserdem nehme ich mir vor, den Test bei Gelegenheit zu wiederholen. Dabei ertappe mich bei der Vorstellung, dass ich den Bleistift glatt unter der Brust vergessen und mir beim Sex plötzlich aus der Wäsche fallen könnte. Wie ich das meinem Partner wohl erklären würde? Vielleicht mir einem 100 Prozent originalen und copyrightgeschützten Amazonen-Schrei: «Cheerio, ich liebe meinen Körper... und du hast das gefälligst auch zu tun!»

Donnerstag, 25. Juni 2009

Apfelwähe für alle

amazonen_negativ Lockenkopfs Freund hat das Apfelwähenbacken für sich entdeckt. Und man muss dazu vielleicht noch sagen, dass er in der Küche nicht zu gebrauchen ist. Jedes Mal, wenn er sich darin zu schaffen macht, sind wesentliche Utensilien danach unbrauchbar. Lockenkopf und Kaktusblüte geben noch heute die Geschichte zum Besten, wie er vor Jahren einmal versucht hat, Popcorn zuzubereiten und die Pfanne dabei so ausbrannte, dass man sie gleich in den Mülleimer schmeissen konnte. Das mit den Pfannen lässt er seither sein, dafür hat er jetzt das Backblech für sich entdeckt. Sei einigen Wochen bäckt er nämlich mit rühriger Hingabe Apfelwähe. Seine Schwiegermutter in Spe hat ihm bereits ein Wähenkochbuch geschenkt. Lockenkopf muss derweil nicht auf den verwegenen Gedanken kommen, sie könne im gemeinsamen Haushalt je wieder selbst eine Wähe backen. Das ist jetzt sein Revier, in Sachen Apfelwähe ist ER der Experte. Schluss, Punkt, Ende der Diskussion.

Schon seltsam, wie Männer dazu neigen, die wenigen Handreichungen, die sie normalerweise im Haushalt ausführen, so dermassen überzubetonen. Als könnten sie sich damit einen Orden verdienen. Eine Prestige-Angelegenheit ist Haushaltsführung definitiv nicht. Damit lassen sich keine Lorbeeren einheimsen. Doch anstatt die Erfahrung zu machen, dass auch „niederträchtige“ Arbeiten mit Hingabe ausgeführt werden können, haben Männer die Tendenz, jedes noch so kleine „Ämtli“ zum Prestigeobjekt hoch zu stilisieren. Die Frau ist der Allroundertyp, Männer möchten sich spezialisieren, Experte sein.

Und dennoch rührt mich die Apfelwähen-Geschichte. Für Männer wie Frauen ist es gleichermassen wichtig, die bemutternde, fürsorgliche Seite in sich zu entdecken und ihr Ausdruck zu verleihen. Die Anima, so heisst diese weibliche Seite in der Psychologie, macht, dass wir uns um unsere Liebsten sorgen, wenn sie sich verspäten, sie lässt uns Gäste mit Hingabe bewirten und... sie sorgt dafür, dass wir Wähen backen. Eine Wähe mit saisonalen Früchten ist so etwas wie der Inbegriff der liebevollen, gütigen Seite in ein jedem von uns. Auf den Wähenboden kommt je nach Jahreszeit das drauf, was die Natur oder der Boden hergibt. Das erinnert an den Zyklus von Geburt, Sterben und Wiedergeburt, was Frausein ja letztendlich ausmacht. Oder vielleicht bringe ich Wähe auch deshalb in Zusammenhang mit Mütterlichkeit, weil eine Wähe zu jenen Dingen im Leben gehört, die hausgemacht einfach tausendfach besser schmecken als gekauft. Das Elternhaus betreten, den vertrauten Geruch einatmen, das Büsi spüren, das einem um die Beine streicht und eine Wähe auf dem Tisch vorfinden – das ist Heimkommen.

Freitag, 12. Juni 2009

Naschen mit dem Popcorn-Mann

amazonen_negativEs gibt Menschen, die sind so richtig grosse Nascher. Lockenkopf gehört zu dieser Spezies. Nun hat sie auch noch das ganz grosse Los gezogen, arbeitet ihr Freund doch neben seinem Studium im Kinokiosk. Für den Popcorn-Nachschub im Hause Lockenkopf ist also gesorgt. Etwas Besseres hätte ihr nicht passieren können. So geht Lockenkopf als neugeborene Cineastin jetzt regelmässig ins Kino, während ihr Freund treuherzig die Popcorn-Maschine rattern lässt, sobald die Dame seines Herzens eintrifft. Weil die Becher jedoch abgezählt werden, muss er regelmässig und unter Einsatz all seiner Kräfte für behältertechnischen Ersatz suchen. So kommt es vor, dass Lockenkopf im Kinosaal neidvolle Blicke auf sich zieht, weil sie mit einem riesigen Getränkepappkarton voller Popcorn im roten Plüschsessel sitzt, während sich die Nachbarn links und rechts mit einer durchschnittlichen Bechergrösse zufrieden geben müssen. Ein bisschen würde sie sich jeweils schon schämen, räumte sie noch ein. Schon früher waren die Amazonen grosse Chips-Nascher. Eine Zeitlang waren Erdnussflips bei uns ganz hoch im Kurs. Wir vertilgten ganze Packungen dieser Dinger, und Lockenkopf war ernsthaft beunruhigt, als sie eines Tages feststellte, dass sie keine ganz Packung Erdnussflips auf einmal mehr vertilgen konnte. Na so was! Da konnte doch etwas nicht mehr stimmen! War sie etwa ernstlich erkrankt? Bei der nächsten Arztkonsultation wies sie den Mediziner vehemment auf ihren besorgniserregenden Zustand hin. Was dieser genau diagnostizierte, ist leider nicht überliefert. Wahrscheinlich hat er sie kopfschüttelnd nach Hause geschickt, mit dem Ratschlag, es doch morgens nochmal zu probieren.

Dienstag, 19. Mai 2009

Ode an die Kurven

amazonen_negativFrancine Jordi hat den schönsten Ausschnitt der Schweiz. Wir sitzen gerade in einer ausgelassenen Runde und trinken Rotwein, als dieser Satz fällt. Ein Hinhörer. „Das hat die Glückspost neulich geschrieben“, erklärt die Regenbogenpresse-Leserin der Runde beflissen in die entstandene Stille hinein. Und ehe ich mich versehe, entfährt es mir: „Francine Jordi hat wirklich einen Wahnsinns-Ausschnitt.“ Die Männer in der Runde sagen plötzlich keinen Ton mehr, während die Eremitin unter Lachen zu mir meint: „Ich kann mich nicht entscheiden, was mich mehr schockiert: Dass Du Dich für Francin Jordis Ausschnitt interessierst oder dass Du überhaupt weisst, wer Francin Jordi ist?“ (Francine Jordi ist eine Schlagersängerin, Anm.)

Drall im prallen Leben stehen
Gross gewachsene Frauen mit barocken Körpermassen sind schön. Und ich will das sagen können, ohne mich gleich dem Generalverdacht ausgesetzt zu sehen, dass ich etwas schön reden will, was sowieso nicht zu ändern ist. Ich würde üppige, vollbusige Frauen wie Francine Jordi, Cecilia Bartoli oder Marilyn Monroe auch dann schön finden, wenn ich selber eine keine solche wäre. Es ist ein nettes Geschenk der Natur, dass ich bekommen habe, was mir auch an anderen gut gefällt.
Doch wir leben in einer widersprüchlichen Welt. Überall herrscht Überfluss, aber ausgerechnet unsere Körper sollen nicht überfliessen dürfen? Dabei ist es doch ein herrliches Gefühl, zu überfliessen! Man kann vor Liebe überfliessen, sodass man dem Liebsten auf offener Strasse ungestüm einen Kuss aufdrückt oder man kann vor Kreativität überfliessen, sodass man vor lauter Ideen des nachts kaum schlafen kann. Wenn wir überfliessen, spüren wir es als eine innerliche Erregung, eine Mischung aus Tatkraft, leichte Überforderung und Aufgeregtsein. Es ist doch so: Wer mager ist, ist krank. Wer rund ist, ist gesund. Eine Ode an die üppige Frau ist also gleichzeitig eine Anrufung an ein pralles und verrücktes Leben, an Lebensmut- und Lebenskraft.

Dieser Hunger nach Leben
Vollbusige Frauen haben meistens etwas sehr Nährendes an sich. Doch ist das keine Anspielung auf Mutterschaft und Muttermilch. Mit „nährend“ ist mehr ein Wesenszug, eine Charaktereigenschaft gemeint. Menschen, die diese Art von Frauen lieben, sind von ihrer sprühenden Lebenskraft fasziniert, möchten sich von ihrem Sinn für den Lebensgenuss verführen lassen. Im Verlauf der Geschichte hat es immer wieder Maler gegeben, die dafür bekannt waren, dass sie dralle Frauen gezeichnet haben: Rubens zum Beispiel oder Picasso. Üppige Frauen haben diesen Künstlern Modell gestanden, waren deren Musen und damit eine nie versiegende Quelle der Inspiration. Maler, die eine Vorliebe für dürre Frauenmodels hatten, sind mir nicht bekannt. Dürre Frauen wirken kalt, leer, tot. Eine Bauchspeck-Diva belebt den Geist, meistens ist sie feinsinnig, sie liebt das schöne Leben, das Essen die Musik und den Wein. Sie ist grossherzig, spontan, sinnlich, leidenschaftlich und... sie lacht viel. Sie ist eine grosse Gesellschafterin mit einem grossen Herzen. Bauchspeck-Diven skandieren deshalb lautstark in die Welt hinaus: „Rolle an Rolle, Speck an Speck – wir bleiben rund!“ Persönlichkeit hat eben immer Gewicht.

Dienstag, 21. April 2009

Die Segnungen kreativen Denkens

amazonen_negativEs ist leider eine menschliche Tatsache, dass wir unserem Glück häufig selbst im Weg stehen. Interessanterweise sind es jedoch meistens nicht die äusseren Grenzen; sondern unsere inneren Barrieren, die uns zum Verhängnis werden. Eingefahrene Denkmuster schränken unseren Handlungsradius ein, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Ob wir an eine neue berufliche Ausrichtung denken, einen Wohnortwechsel vornehmen möchten oder nur schon ganz simple, einfache Problemlösungsprozesse im Alltag anstreben… immer orientieren wir uns an anerzogenen oder gelernten Denkmustern.

Anhand des «Starbucks»-Cafés im Flughafen lässt sich das Prinzip des kreativen Lösungsprozesses wunderschön illustrieren. Der Flughafen ist ein Ort des Transits und oftmals sind Leute dazu gezwungen, langweilige Stunden in der Transitzone zu verbringen, nicht selten auch über Nacht. Besonders beliebt sind dabei die «Starckbucks»-Cafés, weil sie mit bequemen Sofas ausgestattet sind. Da diese aber eigentlich nicht zum Liegen, sondern zum Sitzen gedacht sind, krümmen sich die Reisenden jeweils zu Dutzenden in unschöner Weise darauf zusammen, um unter grösster Mühe in einen unruhigen Schlaf zu fallen. Nur ein einziger, erzählte mir ein langjähriger Flughafenmitarbeiter, kam je auf die Idee, die Sitzpolsterung wegzunehmen – denn die lässt sich ganz einfach abnehmen – und diese auf dem Boden auszubreiten… er muss geschlafen haben wie ein König.

In der Fachwelt nennt sich dieses offene, unsystematische Denken «konvergentes Denken». Konvergentes Denken ist Denken, das sich über die inneren Grenzen hinauswagt, den inneren Zensor ausschaltet. Es ist im besten Sinne kreatives Denken. Meine Freundin Lockenkopf gehört zu jenen Menschen, die dieses konvergente Denken bereits als Kind verinnerlicht haben. Das lässt sich anhand einer schönen Geschichte illustrieren: Mangels normalem Papier hat Lockenkopf einmal in der Primarschule ihre Hausaufgaben auf Packpapier geschrieben. Warum auch nicht, muss sie sich gedacht haben. Auf Packpapier lässt sich schliesslich genauso gut schreiben wie auf normalem A4-Papier, und ich muss ihr da zustimmen. Dummerweise hatte ihre Lehrerin nicht ganz so viel Verständnis für diese Art des kreativen Lösungsprozesses: Als Klein-Lockenkopf stolz ihre Hausaufgaben auf einem Fetzen Packpapier präsentierte, wurde die Lehrerin fuchsteufelswild und schleuderte ihr folgenden legendären Satz ins Gesicht: «Chaschs ja grad so guet uf Schiisiipapier schribä!» Es weiss eben nicht jeder Kreativität angemenssen zu würdigen...

Dienstag, 31. März 2009

Zwischen Büchern

amazonen_negativMeine Amazonen-Freundinnen und ich werden von ganz unterschiedlichen Interessen geleitet. Im Grunde jedoch verfolgen wir alle das gleiche Ziel: Es geht uns darum, uns selbst zu verwirklichen. Es ist dieses Gefühl der Schöpfungswonne, von dem wir einfach nie genug kriegen können. Die Römerin sucht ihren Selbstausdruck in der Fotografie, die Eremitin malt Bilder und macht Improvisationstheater, Lockenkopf sprüht vor Ideen beim Basteln und Gestalten und Kaktusblüte liebt es, gemeinsam mit Kindern etwas zu erschaffen. Doch ich mag Kinder nicht besonders, ich hasse es zu basteln und fürs Malen und Theater spielen habe ich erst recht kein Talent. Dafür liebe ich schreiben und lesen.

Kaktusblüte wiederum hasst das Lesen. Sie hat ihr Lebtag noch keine zehn Bücher gelesen. Unvorstellbar für mich! Wie also finden wir gegenseitig Zugang in unsere Reiche? Kaktusblüte wird nie verstehen können, wie ich empfinden muss, wenn ich die Gesamtausgabe meines Lieblingsphilosophen Montaigne in den Händen halte, die gut 500 Seiten umfasst. Wie gut sich dieser überdimensionierte Schmöker in meinen Händen anfühlt und wie mich das plötzliche Drängen erfasst, mit diesem Buch der Bücher unter dem Arm durch die Winterthurer Marktgasse zu stolzieren. Ich bin verrückt. Aber das sind wir alle, wenn es um unsere Obsessionen geht. Es ist normal, dass es uns bewegt, wenn wir so nah an dem dran sind, was uns ausmacht.

Letzte Woche im Kellergeschoss der städtischen Bibliothek wurde mir plötzlich bewusst, dass meine Freundin Kaktusblüte, obwohl sie mich und mein Innenleben so gut kennt, keine Ahnung davon haben muss, dass ich mich in meinem Alltagsleben regelmässig an diesem Ort aufhalte. Es ist der Platz, wo Bücher aufbewahrt werden, die nicht so häufig ausgeliehen werden. Wahrscheinlich hat sie keine Ahnung, wie es dort, im Bauch der Bibliothek, aussieht, wie es riecht. Wie still es ist. Sie weiss nicht, dass die Regale bis zur Decke reichen und proppenvoll sind mit Büchern. Die Regale sind verschiebbar. Damit man zum gewünschten Regal herankommt, dreht man an einem grossen Rad. Eine Luke öffnet sich, während sich die bisherige schliesst. Meine Freundin kann nicht wissen, dass ich jedes Mal, wenn ich an diesem Rad drehe, einen Moment lang fürchte, jemanden in der sich schliessenden Luke zu erdrücken. Einen anderen Bibliotheksbesucher, der im falschen Moment geräuschlos geatmet hat. Doch betritt man erst mal die Luke, ist das alles vergessen. Auf beiden Seiten des Ganges türmen sich die Bücher meterhoch. Ein Gefühl des inneren Friedens flutet mich.

Kaktusblüte würde nicht so empfinden. Doch ich bin mir sicher, wenn ich sie mitnähme, meine Freundin Kaktusblüte, sie würde sich sehr über dieses Rad amüsieren, mit dem sich die Regale wie von Zauberhand öffnen und schliessen lassen. Von Büchern erdrückt zu werden! Auch diese Vorstellung würde sie vermutlich belustigen. Sie würde alles mit dieser kindlichen Unschuld betrachten, die denen eigen ist, die keinerlei Bezug zum Objekt haben, das sie betrachten. Und dann würde sie sich zwischen zwei Regale stellen und ich würde ganz vorsichtig am Rad drehen, bis ihre Nasenspitze fast von einem Buchrücken platt gedrückt würde. Wir würden losprusten und uns die Bäuche halten vor lachen.

Ich hätte ihr einen Ort gezeigt, der sehr viel darüber aussagt, wer ich bin. Damit hätte ich ihre Welt mit einer Erfahrung bereichert, die ohne mich nie ein Gesicht bekommen hätte. Denn genau dafür sind Freundinnen da. Sie bereichern unser Universum, lassen uns an einer Welt teilhaben, zu der wir ohne sie keinen Zugang hätten. Sie sorgen dafür, dass wir nicht so ignorant durchs Leben gehen müssen, in der Meinung, alle würden gleich empfinden. Ich bin froh, dass nicht alle meine Freundinnen Büchernarren sind. Es macht mich nicht einsam. Im Gegenteil: Es bereichert mich, meine Welt durch ihre Augen zu sehen.

Dienstag, 10. März 2009

Was machen Marroniverkäufer im Sommer?

amazonen_negativEine berechtigte Frage angesichts erster sehr zaghafter Versuche eines Frühlings. Kaum setzt die erste grosse Schneeschmelze ein, verschwinden die Marroniverkäufer genauso plötzlich wieder aus dem Strassenbild, wie sie im Herbst plötzlich da waren. Und manch einer mag sich vielleicht die Frage stellen, wie sie ihre Zeit verbringen, nachdem sie die letzten Monate über jeden Tag von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang Schneeböen und Minustemperaturen getrotzt haben. Höchste Zeit also, den fliegenden Maronen-Händlern Anerkennung zu zollen und ihnen einige Zeilen zu widmen.

Vor einigen Tagen ist mir «33 Fragen» in die Hände gefallen, einen Fragekatalog, den ich einmal aus einer Laune heraus zusammenstellte und an meine Freundinnen schickte. Frage Nummer 17 lautet: «Wärst Du gerne einmal Marroniverkäuferin?» Ich bilde mir manchmal ein, eine natürliche Begabung dafür zu haben, die richtigen Fragen zu stellen – doch mit Verlaub: Sogar Publizistikstudenten im ersten Semester würden geringschätzig über so eine Frage in einem Fragebogen lächeln, ist sie doch geschlossen gestellt, man kann sie also leicht mit einem simplen «ja» oder «nein» beantworten. Mist. Mist. Mist. Umso mehr überraschte es mich, wie ungemein dicht die Antworten meiner Freundinnen ausgefallen waren. Mit einer so simplen Frage ergründet man das Wesen eines Menschen manchmal besser als mit jeder vorgefertigten Standardfrage aus dem Psychologie-Handbuch.

Meine Freundin Lockenkopf zum Beispiel schreibt: «Nein eigentlich nicht, ich würde sie lieber sammeln». Diese Antwort passt wie die Faust aufs Auge zu meiner Freundin Lockenkopf, die an Ostern das «Nestli» jedes einzelne Jahr innert Sekunden findet. Ich sage das mit einem gewissen Neid, aus gutem Grund, ist Lockenkopf doch eine grosse Finderin, ohne wirklich eine Suchende zu sein. Bei mir ist es eher umgekehrt, ich bin eine Suchende, aber Finden gehört nicht zu meinen Stärken. Deshalb bin ich auch immer die Allerletzte, die das «Nestli« findet, während meine Freundinnen mir bei meiner verzweifelten mit guten Ratschlägen zur Seite stehen und sich gleichzeitig krumm lachen. Meine Antwort auf die Frage 17 lautet: «Nein. Es ist mir zu kalt. Aber es wäre gut, um Umfragen zu machen. Ich würde pro Tag einer Fragestellung nachgehen. Aber wahrscheinlich wären meine Kunden damit überfordert und ich hätte bald keine mehr.»

In eine ganz andere Richtung geht die Römerin. Sie sagt: «Ja mich würde Wunder nehmen, ob ich frieren würde.» Das lässt auf eine grosse Experimentierfreudigkeit schliessen, die gut zu einer Frau passt, die sich gerne selbst neu erfindet. Schliesslich denken wir alle, dass wir frieren würden. Mit letzter Gewissheit können wir das doch aber nur sagen, wenn wir es selbst ausprobiert haben. Im Gegensatz zu uns anderen ist es für die Römerin eine Selbstverständlichkeit, als Gegeben Betrachtetes in Frage zu stellen. Meine Freundin Kaktusblüte schliesslich antwortet: «Ja, aber nur für ein Tag oder eine Woche, und nur wenn die Sonne scheint, wenn es regnet hätte ich keine Lust. Ich finde den Marroniverkäufer zuoberst in der Marktgasse sieht immer sehr zufrieden aus.» Kaktusblüte also offenbart sich als Schönwetter-Marroniverkäuferin, was gut zu einer Frau passt, die offen für vieles ist, solange die Rahmenbedingungen stimmen. Sie spricht auch von ihrer Beobachtung, wie zufrieden Marroniverkäufer wirken. Das erinnert mich an den Abreisskalender für den Monat März. Darauf steht: «Schöne Dinge für den Sommer planen, aber auch das Jetzt geniessen, das ist Lebenskunst.» Vielleicht sind wir dem Geheimnis der Marroniverkäufer ja schon ganz dicht auf der Spur. Was sie im Sommer machen, wissen wir zwar immer noch nicht. Aber vielleicht ist es auch gar nicht so furchtbar wichtig.

Dienstag, 24. Februar 2009

Leben im Transit

Für die Amazone ist das Leben bestimmt kein Wartesaal, und doch kam sie sich manchmal schon gestrandet vor. Gut nur, dass man immer wieder zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist.
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«Ich bin im Wartesaal geboren», singen Patent Ochsner, und auf einer Interrail-Reise mit der Eremitin habe ich zum ersten Mal eine Ahnung davon bekommen, was sie damit gemeint haben könnten. Die Eremitin und ich wandelten nämlich einmal auf den Spuren von Homo Faber in Griechenland (das war das Motto unserer Reise), entschieden uns dann aber spontan, Mister Faber für ein paar Tage abtrünnig zu werden und einen kleinen Abstecher nach Istanbul zu machen. Von Thessaloniki aus wollten wir den Nachtzug nach Istanbul nehmen. Aus Athen kommend, erreichten wir Thessaloniki bereits am späteren Nachmittag. Es regnete und auch sonst hatten wir keine besondere Lust, uns die Stadt anzusehen. Es blieb uns also nichts anderes übrig, als im heruntergekommenen Bahnhofsbuffet auf die Abfahrt unseres Zuges zu warten. Wir assen pampige Pommes, rauchten Kette und fühlten uns überhaupt nicht wohl in unserer Haut.

Auf der ganzen Welt sehen Bahnhofsrestaurants genau gleich aus. Es sind heruntergekommene, verrauchte Löcher mit vergilbten Wänden. Sieht so die Vorhölle aus? Die Stammgäste trinken bereits am helllichten Tag Bier, der Tonfall ihrer Unterhaltungen ist ruppig, genauso wie ihr Umgang miteinander. Und wir, mittendrin, fragten uns: Was zieht diesen Menschenschlag rund um den Erdball an diesen Ort des Transits? Bier gäbe es sicher auch in anderen Lokalen im Zentrum. Ist es die Sehnsucht nach einer anderen Welt, im Wissen darüber, der eigenen doch nicht zu entkommen? Dem eigenen Schicksal doch nicht entrinnen zu können?

«Ich bin im Wartesaal geboren», singen Patent Ochsner und meinen damit wahrscheinlich die Tatsache, dass wir viel zu häufig im Leben darauf warten, dass endlich etwas passiert. Viel zu häufig gewöhnen wir uns an die Komfortzone des Transits, denn sie bietet den Trost des Altbekannten, vermittelt ein Gefühl von Sicherheit. Doch das Warten muss man nicht lernen – aber das Fliehen! Nur allzu leicht vergessen wir, dass wir jederzeit einen Zug besteigen und aufbrechen können, wenn wir des Wartens überdrüssig werden. Alles was zählt, ist die eigene Tat.

Für die Eremitin und mich jedenfalls hat sich das Aufbrechen gelohnt: Ohne dass wir gewusst hätten, erreichten wir Istanbul genau am Morgen des Zuckerfestes, an dem die Muslimen das Ende des Fastenmonats Ramadan feiern. In jedem Laden, den wir betraten, wurden uns Bonbons angeboten und wir sahen fröhliche Familien in ihren besten Kleidern durch den Park spazieren. Ich weiss nicht, wie viele Stunden wir in diesem Park auf der Bank sassen und uns am Anblick dieser gut aussehenden Menschen labten. Als die Rufe aus der Moschee erklangen, fühlte ich mich überglücklich und sehr auserwählt, diesen wichtigen Moment für die Menschen dieses Ortes miterleben zu dürfen und ihre Freude zu teilen.

Mittwoch, 7. Januar 2009

Ihr bestes Stück

amazonen_negativSie sind entweder zu gross oder zu klein, zu hängend oder zu flach, so richtig zufrieden sind wir jedenfalls selten mit dem, was wir haben. Die Rede ist von des Frau bestes Stück: Ihrer Handtasche. Eine Frau und ihre Handtasche bilden eine unzertrennliche Einheit, sie sind miteinander verwachsen, einander Treu ergeben bis dass der Tod sie scheidet. Mir ist schleierhaft, wie Männer ohne eine Handtasche durchs Leben kommen, ganz ehrlich.

Erste und wichtigste Faustregel: Eine Handtasche sollte – das Wort verrät es eigentlich bereits – handlich sein. Frauen wie wir haben allerdings selten handliche Täschchen. Schliesslich muss man für alle Eventualitäten des Lebens vorbereitet sein! Meine Handtasche ist Pult, Bücherregal, Vorratskammer und Spiegelschrank in einem. Oder jedenfalls eine konzentrierte Form davon. So kommt es vor, dass ich ziemlich viel Gewicht durch die Gegend schleppe. Und es kann auch vorkommen, dass ich nicht auf Anhieb ins richtige Abteil greife. Dann suche ich den Leuchtstift in der Küche oder die Lippenpomade im Büro. Sprich: Ich suche mich dumm und dämlich. Meistens ist es in der Handtasche auch noch so dunkel wie in einem Kuhmagen, was die Suche auch nicht unbedingt erleichtert. Wie viele Stunden ich schon damit zugebracht habe, in meiner Tasche herumzuwühlen! In dieser Zeit hätte ich bestimmt einen Roman schreiben oder die Welt retten können. Eines steht jedenfalls fest: Ich hätte etwas Sinnvolleres tun können.

Mitunter kann sich auch ziemlich Privates in diesem Beutel aus Leder verbergen. Das ist auch der Grund, weshalb der Anstand es Männern verbietet, in der Handtasche einer Frau herumzuwühlen. Auch wenn darin ein Handy piepst! Und dazu gibt es eine sehr lustige Geschichte. Vor Jahren, als Lockenkopf soeben mit ihrem jetzigen Freund zusammen kam und sie ihn uns – eine delikate Angelegenheit – vorstellen wollte, sitzen vier Amazonen am Boden des Wohnzimmers und breiten in einem Anflug von Rührseligkeit den Inhalt ihrer Handtaschen voreinander aus. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was uns dazu bewog, aber wir waren sehr angetan von unserem kleinen Spielchen. Dem neuen Freund der fünften im Bunde war es einfach nur furchtbar peinlich. Er hätte uns wohl gerne erst einmal so kennen gelernt, ohne dass wir gleich unser Innerstes vor ihm ausgebreitet hätten…

Dienstag, 23. Dezember 2008

Elefantenhaare für Lockenkopf

Bringt rote Unterwäsche wirklich Glück in der Liebe? Die Amazone hat da so ihre Zweifel.amazonen_negativ

Nun ist es bald soweit, die Saison des Aberglaubens zieht wieder ins Land: Der schöne Silvesterbrauch zum Beispiel, sich im Hinblick auf die Nacht der Nächte gegenseitig mit roter Unterwäsche zu beschenken, auf dass es in Sachen Liebe ein glücksverheissendes Jahr werden möge. Diese Sitte hat sich natürlich auch im Kreise der Amazonen längst durchgesetzt. Ich weiss noch, wie wir uns einmal in einer Silvesternacht quer durch den Klub gefragt haben, um zu erfahren, ob manche der weiblichen Partygäste dem Brauchtum folgen und tatsächlich rote Unterwäsche tragen. Und siehe da, es waren erstaunlich viele, die es sich nicht nehmen liessen! Die befragen Frauen waren sehr offen, wildfremde Frauen zogen uns ins Vertrauen und flüsterten uns mit gesenkter Stimme ins Ohr: «Wisst ihr was, bei mir hat es dieses Jahr/letztes Jahr/ im Jahr davor/ funktioniert.» Einen Moment lang schien die Welt nur noch aus Frauen zu bestehen, die in Silvesternächten rote Unterwäsche tragen und im darauf folgenden Jahr von einer liebestechnischen Glückswelle erfasst werden. Welch Verheissung! Nichts wie hin in die Lingerie-Abteilung, sagten sich Kaktusblüte und ich, sobald die Silvesternacht erneut vor der Tür stand.

Doch es gibt noch mehr Liebesorakel. Einige unter uns sind – aus welchen Gründen auch immer – überzeugt, dass ein Elefantenhaar Glück in der Liebe bringt. Ein Aberglaube, der seinen Ursprung privaten Gründen zu verdanken hat. Und irgendwie ist das ja auch durchaus nachvollziehbar, ist doch so ein Elefantenhaar dick, borstig und sehr widerstandsfähig. Lockenkopf fand also, dass ein bisschen Glück in der Liebe bestimmt nicht schaden könne und schrieb dem Zoo einen netten Brief, ob der Elefantenwärter bitte so nett sei und dem Dickhäuter ein Schwanzhaar für sie abzwacken könnte. Wie zu erwarten war, erhielt Lockenkopf abschlägigen Bescheid vom Zoo.

Ein paar Monate später hatte ich vor, nach Indien zu verreisen. Lockenkopf liess es sich natürlich nicht nehmen und trug mir auf, nur mit einem Elefantenhaar für sie im Gepäck in die Schweiz zurückzukehren. Natürlich nahm ich mir diesen Auftrag sehr zu Herzen – schliesslich ging es um nichts Geringeres als das Liebesglück einer Freundin. Doch dummerweise ergab sich einfach nie die Gelegenheit und gegen Ende der Reise stand ich immer noch mit leeren Händen da. In einer Stadt in Rajasthan entdeckte mein Auge dann endlich einen einzigen bunt bemalten Elefanten, der gerade eine Prozession anführte. Vielleicht meine letzte Chance! Da nahm ich meinen Mut zusammen und kämpfte mich durch die Menschenmasse an die Spitze der Prozession. Endlich beim Elefant und seinem Meister angelangt, trug ich meine Bitte vor. Sofort zog der nicht eben freundliche Elefantenmeister ein Messer aus der Hosentasche, trennte ein paar Haare durch und überreichte mir – natürlich gegen ein kleines Entgeld – ein ziemlich kurzes, kotverschmiertes Stümmelchen. Etliche leere Stellen zeugten davon, dass andere schon vor mir da gewesen waren. Plötzlich war ich mir nicht mehr so sicher, ob dieser Liebes-Aberglaube wirklich so wahnsinnig inoffizieller Natur war, wie ich immer gemeint hatte.

Das kotverschmierte Stümmelchen sah jedenfalls nur halb so verheissungsvoll aus wie die rote Unterwäsche, so viel kann ich an dieser Stelle verraten. Doch wenigstens kann ich mir nichts vorwerfen lassen, habe ich doch einen wahren Freundinnendienst erbracht und praktisch Leib und Leben riskiert, um an ein Elefantenhaar zu kommen. Über die Erfolgsaussichten beider Methoden möchte ich mich an dieser Stelle lieber nicht äussern, ist doch Lockenkopf schon seit einer halben Ewigkeit mit ihrem Gefährten zusammen, während die rote-Unterwäsche-Fraktion… na ja, wie auch immer. Einen guten Rutsch ins 2009!

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Chalid al-Chamissi
Im Taxi: Unterwegs in Kairo

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