Kolumnisten schreiben immer über ihre ganz persönliche Erlebenswelt. In Schweizer Kolumnen-Spalten gibt’s daher eine Tramkolumne («20 Minuten», ehemaliger Journalist ist jetzt Tramlokführer), eine Gartenkolumne («Annabelle») oder eine Wander-Kolumne («Weltwoche»). Der grössere Teil aber, so scheint, wird von der Spezies der Familien-Kolumnisten bevölkert. Bänz Friedli zum Beispiel, der selbst ernannte «Hausmann der Nation». Natürlich musste wieder ein Mann kommen, damit Wäsche waschen und Kinder betreuen eine Aufwertung erfährt. Kaum macht’s ein Mann, wird’s zum Kult. Das stinkt doch zum Himmel. Das Pendant in der «Coop Zeitung» heisst «Schreiber vs. Schneider», ein unverheiratetes Journalisten-Paar (das Konkubinats-Verhältnis ist aber auch schon der einzige Aspekt an ihrem Lebensentwurf, der nicht konservativ ist) mit zwei kleinen Kindern, die in der «Coop Zeitung» über den Beziehungsknatsch oder Kindereien schreiben. Ja, die kleinen Alltagsepisoden sind ganz nett. Doch sind wir ehrlich: Diese Gschichtli ereignen sich doch zu Tausenden an Schweizer Familientischen. Vielleicht kann es für den Leser reizvoll sein, sich darin wieder zu erkennen. Aber auch dieser Effekt hält nicht für ewig. Und dann werden diese aufgedrängten und seichten Einblicke in den familiären Alltag einfach nur noch langweilig. Will man in der Zeitung wirklich nochmals vorgekaut bekommen, womit man sich tagaus, tagein abzukämpfen hat? Wenn man mit fettigen Haaren in einer unaufgeräumten Küche sitzt, hilft auch der heiter- gelassene Blick auf das Dasein als Familienfrau nicht mehr weiter. Dann möchte man ausbrechen, unvernünftig sein, mit knallroten Absatzschuhen auf eine Bergwanderung gehen und dabei noch elegant aussehen, mit den Freundinnen auf den Putz hauen oder dann zumindest die Abenteuergeschichten der Ella Maillart lesen. Was Bänz Friedli zum Thema Waschmaschine meint, interessiert dann herzlich wenig. Bisher fehlte eine Kolumne, die das «spezifisch Weibliche» herauszuschälen versucht aus der Alltagswelt.
Und genau deshalb gibt’s neu die «Amazonen»-Kolumne auf tink.ch.
Coming soon… ab 31. Juli 2007 auf www.tink.ch
Eduschka - 23. Jul, 20:20
Dieses Jahr lebt erstmals die Hälfte der Menschen weltweit in Städten. Ich gehöre nicht zu ihnen. Und manchmal, wenn ich Abstand brauche, fahre ich mit meinem Fahrrad an den Waldrand auf eine Anhöhe. Dort kann ich auf «mein» kleines Dorf sehen. Es sieht so schön aus, so friedlich. Es dämmert bereits, das Fenster meines Lieblingshauses ist erleuchtet, plötzlich erlischt es. Der Mensch ist zwar da, doch er ist mehr eine Ahnung als eine Tatsache. Man nimmt ihn eher indirekt wahr, schliesslich bewirtschaftet er die Felder rund um das kleine Dorf. Der Mensch hinterlässt seine Handschrift, aber er tut es unauffällig, fast ein bisschen ehrfürchtig vor der Natur. Es ist eine wohltuende Unauffälligkeit in einer Zeit, in der die Menschen so übermächtig wirken. Auch Indien hat ja den unrühmlichen Ruf, vor lauter Menschen aus allen Nähten zu platzen. Menschen, so viele, soweit das Auge reicht. Es sind vor allem die Milliardenstädte, die internationale Schlagzeilen machen, doch das Ländliche hat mich bei meinen Reisen in Nordindien immer viel mehr beeindruckt. Einer meiner indischen Freunde hat einmal zu mir gesagt: «Every big man came from a small place». Das finde ich sehr schön. Liegt es vielleicht daran, dass die Menschen mehr Rückhalt spüren, also mehr Bodenhaftung haben und weniger die Gefahr besteht, völlig abzuheben? Ländliche Strukturen zeichnen sich dadurch aus, dass die Menschen mehr aufeinander angewiesen sind, die Leute kennen sich, man befindet sich in einem Biotop, das wohlig warm ist und Schutz bietet. In so einem Umfeld erkennt man leichter, was wirklich wichtig ist.
Auch viele Künstler ziehen ganz bewusst in kleine Orte. Der deutsche Expressionist Ernst Ludwig Kirchner lebte 21 Jahre bis zu seinem Tod in Davos. Meine Grossmutter spielte als Kind zwischen seinen Gemälden auf dem Heustock Verstecken, während die Bevölkerung ihn als Spinner abtat, weil er violette Kühe malte. Mit Kühen kannten sie sich schliesslich aus, und das Braunvieh im Landwassertal war nun mal braun und nicht violett. Die Tatsache, dass es Künstler vermehrt in kleine Dorfgemeinschaften zieht, wo sie so einiges an Staub aufwirbeln können, hat vielleicht vor allem damit zu tun, dass sie ungestört arbeiten wollen und sich nicht dem Druck aussetzen wollen, der in Künstlerkreisen zuweilen auf ihnen lastet. Als Spinner abgetan zu werden ist manchmal gar nicht so schlecht, schliesslich schafft es unglaublich viel Raum. Raum, den der Künstler mit Kunst füllen kann.
Eduschka - 9. Jul, 18:30
Sonnenblumen sind Sommerfreuden. Und so staunte ich auch nicht schlecht, als ich diese Woche bei den Eltern der Römerin war, um etwas abzuholen. Vor dem Wohnzimmerfenster von Papa und Mama Römerin breitet sich nämlich frontal ein riesiges Sonnenblumenfeld aus wie ein Teppich. Sonnenblumen, so weit das Auge reicht. Der Anblick war fantastisch. Ein Sonnenblumenfeld vor das Haus gepflanzt zu bekommen, das ist wie ein Sechser im Lotto. Schliesslich kann man sich einen ganzen Sommer lang daran erfreuen. Dieses gelb, dass so erfrischend ist wie ein laues Sommerwindchen – oder so grell, dass es blendet, wenn die Sonne im Zenit steht, wie mich Papa Römerin aufklärte. Offenbar reicht meine Fantasie wieder mal nicht aus, um mir all den Konsequenzen eines hauseigenen Sonnenblumenfels bewusst zu werden. Und Insekten? Insekten zieht es sicher auch an. Bienen, die den letzten Honig aus den Blütenkammern pressen wollen. Und erst wenn das Feld gemäht wird! Was für ein dunkler Tag muss das sein. Mein Neid ist schon nicht mehr ganz so gross. Ich erinnere mich an schwarze, den Kopf herab hängende, „tote Sonneblumen“, die ich auf einer Reise in Biel gesehen habe. Ein untröstliches Zeichen für den nahenden Winter. Noch schlimmer als sich versammelnde Schwalben oder fallende Blätter. Mein Neid schwindet jetzt im Sekundentakt.
Zwar habe ich kein ganzes Feld vor dem Fenster, aber immerhin ein Kistchen mit Sonnenblumen. Ich giesse sie jeden Tag, lasse sie gedeihen und wenn Erntezeit ist, kann ich sie in einer Vase stellen oder sie meinen Liebsten schenken. Wenn die Pflanzen hinüber sind, kostet es mich nicht ganz so viel Kraft, das Kistchen voller Erde zu entsorgen. Ich werde vielleicht ein bisschen in eine missmutige Stimmung geraten, doch allzu sehr wird es mir nicht zusetzen. Ich muss auch nicht jedes Mal eine Sonnenbrille aufsetzen, wenn ich an einem sonnigen Tag Zeitung lesen will, und von einer Insektenplage werde ich auch verschont. Wie heisst diese Plage schon wieder, dieser Brand, der die Pflanzen angreift? Feuerbrand? Kann der sich etwa auch auf Sonnenblumen übertragen? Und wäre das etwa gefährlich für meine Katze? Überhaupt könnte sich eine Katze sicher leicht in einem Sonnenblumenfeld verhaken oder sich verirren und nicht mehr raus finden und verhungern oder verdursten. Uff, bin ich froh, dass ich kein Sonnenblumenfeld vor dem Fenster habe.
Eduschka - 2. Jul, 18:10
Abermillionen von Tränen habe ich schon geweint in meinem Leben! Nicht, dass mein Leben bisher besonders tragisch verlaufen wäre - aber gibt es nicht bei jedem Einzelnen von uns so vieles zu beweinen? Das Sterben einer Idee, die sich nicht in die Tat umsetzen lässt, Erwartungen, die sich nicht erfüllen, liebe Menschen, die sich einem entfremden….jeder dieser Vorfälle fühlt sich in unserer Innenwelt an wie ein kleiner Tod. Und die deutlichste Sprache, derer unsere Seele mächtig ist, sind Tränen. Tränen: ein Gemisch aus Salz, Wasser, Eiweiss und Fett. Bis zu 80 Liter Tränen vergisst ein Mensch durchschnittlich in seinem Leben - eine ganze Badewanne voll. Das macht vier Millionen Tränen für jeden von uns.
Weinen ist in einem Menschenleben sozusagen konstitutiv, denn es ist die erste Aktivität eines jeden Neugeborenen. Auf dieser Welt ist wohl noch kein Baby lebendig zur Welt gekommen, das nicht geweint hätte. Man kann das jetzt pessimistisch sehen und sagen: Wir weinen von Stunden null an, aber das Lachen lernen wir erst mit drei Monaten. Man kann es aber auch umdrehen und sagen: Weinen ist das erste Zeichen für unsere Lebendigkeit. Ein Baby, das nicht weint, ist tot geboren. Tränen sind das Symbol für unsere Lebenskraft und unser Lebenswillen. Denn: wer weinen kann, ist seelisch gesund. Der Volksmund sagt: «Lachen ist gesund», doch weinen muss noch viel gesünder sein. Es reinigt innerlich und äusserlich, ein Waschgang inklusive Schleuderprogramm.
Mit den Tränen wird Stress abgebaut, man fühlt sich leichter, geläutert aber wieder auf dem Weg zurück ins Leben. Nicht geweinte Tränen jedoch bilden einen grossen Klumpen in der Herzgegend.
Im gesellschaftlichen Kontext gilt weinen als Schwäche, als ein Eingeständnis von Hilflosigkeit. Doch wenn man genauer hinschaut, werden mit weinen unglaublich viel Kräfte frei gesetzt.
Der magische Moment ergibt nach dem Weinen, wenn die Abstände zwischen den Schluchzern grösser werden und die Tränen langsam verebben. Die Anstrengung des Weinens verursacht körperliche Erschöpfung, gleichzeitig wird man aufmerksam auf das, was da tief in seinem Innern gerade neu geboren wird. Die extreme Körperwahrnehmung des Weinens hat einen wachsam werden lassen auf die eigenen Empfindungen. Das hilft, die einzelnen Gefühlsstränge voneinander zu unterscheiden. Es ist die innere Kraft, die sich plötzlich ganz deutlich von den anderen Gefühlsfetzen abzuheben beginnt. Plötzlich fühlt man sich selbst ganz nah. Und unglaublich stark, von innen her.
Es gehört zu einer Frau, sich zu erneuern wie sich eine Schlange häutet. Biologisch gesehen macht sie es jeden Monat mit ihrer Periode. Auch das Einkaufen ist eine Art, sich selbst neu erfinden. Dasselbe Prinzip gilt auch fürs Weinen: Nach einem Weinkrampf ist die Welt eine andere. Man macht sich leer, um sich zu erneuern. Nach der Läuterung folgt die Rückbesinnung auf die Kraft der inneren Stärke. Das – und nur das – macht das Weinen zu einem weiblichen Attribut.
19.05.2007
Eduschka - 21. Jun, 12:03
AKSHAR bedeutet auf Hindi Buchstabe, zugleich bezeichnet es die kleinste Einheit, die
nicht mehr zerstört werden kann. Das ist ein kraftvolles Symbol für das Vertrauen in
die Sprache. Ich hoffe, dass es mir mit diesem Blog gelingen wird, Akshar in meinem
Leben zu streuen und zu stärken.
Herzlichst,
Eduschka - 20. Jun, 12:00