Wenn ich Paare treffe, frage ich sie gerne danach, wie sie sich kennen gelernt haben. Schon manches Mal musste ich mir für diese merkwürdige Gewohnheit den Spott meiner Freundinnen gefallen lassen. Für sie und die meisten anderen Menschen ist der Anfang nur ein Anfang. Das, was danach kommt, ist das Entscheidende. Doch ich halte es wie Hermann Hesse, der einst gedichtet hat: «In jedem Anfang wohnt ein Zauber inne». Vielleicht sind für mich ja nicht unbedingt die Fakten relevant, sondern es ist dieser Zauber, über den ich gerne mehr erfahren möchte. Ich bin nun mal ein symbolverliebter Mensch. Jemand aus meinem Freundeskreis kann sich zum Beispiel noch bis ins kleinste Detail an die Klamotten erinnern, die seine langjährige Freundin trug, als sie sich kennen lernten. Das sind die Geschichten, von denen ich nicht genug kriegen kann. Und ich könnte schwören, dass er ihre mottenzerfressenen Kleider noch irgendwo in den dunklen Tiefen seines Schranks als Reliquie aufbewahrt.
Sprung vom 10-Meter Sprungbrett
Vielleicht messe ich dem Anfang auch nur deshalb eine so grosse Bedeutung zu, weil ich selber ziemlich schlecht bin darin, neu anzufangen. Nicht nur in der Liebe, sondern ganz generell. Für mich ist jeder Neuanfang ein beherzter Sprung vom 10-Meter-Sprungbrett ins eiskalte, gurgelnde Wasser. Ich hasse den Moment, wenn ich springen muss. Aber zum Glück habe ich mittlerweile ziemlichen Gefallen am Gefühl gefunden, wenn ich, unten angekommen, mit den Armen rudere und merke, dass ich schwimmen kann. Dass mich dieses Wasser trägt. Ja mehr noch: Wie sehr mich das eiskalte Wasser belebt, wie sehr mich das Eintauchen in das kühle Nass von Grund auf erneuert. Und wenn ich diesen Teil einmal hinter mich gebracht habe, möchte ich meistens gar nicht mehr ans Ufer zurück, weil es mir plötzlich sehr brav und langweilig erscheint.
Neuanfänge fliegen uns aber selten einfach zu, sondern wir müssen innerlich unser Einverständnis dafür bekunden. Indem wir angelernte, negative Muster durchbrechen, können wir dem Schicksal zu verstehen geben, dass wir diese innere Bereitschaft erlangt haben. In der Folge wird das Universum alles daran setzen, uns diesen Herzenswunsch zu erfüllen. Wie viele Frauen gib es, die sich ständig in die falschen Männer verlieben, die entweder schon vergeben sind oder gerade in der ultimativen Selbstfindungskrise stecken? Da möchte ich manchmal gerne fragen:«Was nützt es dir, dass die Männer, in die du dich verliebst, nie zu haben sind?» Irgendeinen Vorteil muss es für sie haben. Es ist nicht fair, ich weiss. Das Letzte, was wir als Single hören wollen, ist, dass wir auch noch selber schuld sind an unserer Misere. Doch wenn uns die Angst vor der Überforderung lähmt, sind wir für eine Beziehung im Grunde eben doch nicht bereit.
Wir Frauen bekunden nämlich oftmals ziemliche Mühe damit, unsere Bedürfnisse zu erkennen, sie offen auszusprechen, zu ihnen zu stehen und sie nach Möglichkeit sogar zu verteidigen. Dafür ist viel Selbstbewusstsein gefragt. Und gerade in einer Partnerschaft zwischen Mann und Frau – das wissen wir im Grunde ganz genau – ist es zwingend nötig, dass wir unsere Bedürfnisse artikulieren können. Gleichzeitig trauen wir uns das aber nicht zu. Die Angst zieht bei uns ein, und sie lähmt uns. Und so verzehren wir uns auch weiterhin nach Liebe, waten im knöcheltiefen Wasser ohne uns hinauszuwagen in die Untiefen, weil wir uns davor fürchten, fürs offene Meer nicht gut genug schwimmen zu können.
Schwimmen ohne Rettungsweste
Eine Rettungsweste gibt es für solche Anfangssituationen leider nicht mit auf den Weg. Doch wenn wir unsere Ängste überwinden, wird uns das Schicksal die richtigen Möglichkeiten ans Ufer spülen. Auch ich fühlte mich lange Zeit mit einer Beziehung überfordert. Deshalb habe ich mich wahrscheinlich in einen Mann verliebt, der fernab meiner Heimat auf einem anderen Kontinent zu Hause ist, weit weg von meiner eigenen Welt. Ich habe nicht lange gezögert und bin ein halbes Jahr zu ihm gezogen, um so zum ersten Mal eine Beziehung «auf Probe» zu führen. Ganz ohne beobachtende Blicke und der Angst, in Erklärungsnotstand zu geraten. Obwohl die Beziehung längst in die Brüche gegangen ist, bin ich überzeugt, dass diese Erfahrung sehr wichtig war für mich. Manchmal müssen wir einfach raus aus den uns einengenden Verhältnissen, um Abstand zu gewinnen und uns von unseren eigenen falschen Vorstellungen zu lösen, unseren blinden Flecken, unserer Befangenheit.
Meistens stehen wir jedoch vor einem Problem wie am Fuss eines Bergs, schauen hoch und resignieren bereits bei der Vorstellung dieser unüberwindbaren Höhen, die da zu erklimmen sind. In so einem Fall gibt es jedoch einen kleinen Trick: Fast immer lässt sich das Problem nämlich auf eine überschaubare Version herunterbrechen: Angst davor, ein halbes Jahr allein durch Australien zu reisen? Da könnte man doch mal probeweise zwei Wochen allein nach Irland fliegen. Angst davor, allein zu leben? Da könnte man ja mal versuchsweise Wohnung und Katze der Freundin hüten, während sie in den Ferien weilt. Angst vor einer Zweitausbildung? Da könnte man zuerst mal einen Kurs besuchen. Solche Testläufe geben Sicherheit und Selbstvertrauen. Wichtig dabei ist, dass es nicht bei diesen Probeläufen bleibt, sondern dass man sich nach Ablauf der Probezeit ans «grosse Ding» wagt. Meistens ergibt sich das jedoch ganz von alleine, weil dieses Gefühl, seine Angst zu überwinden, Adrenalin im Körper freisetzt und so einen eigentlichen Rausch auslöst, der Suchtpotential hat.
Denn nichts macht so stolz wie das Gefühl, seine eigene Angst besiegt zu haben. Nur an der Angsttoleranz jedes Einzelnen sollten wir den Mut einer Person messen. Der Lese- und Schreibschwache, der ganz allein auf die Poststelle geht und ein Umzugsformular ausfüllt, hat vermutlich tausendfach mehr Mut bewiesen als der Fallschirmflieger, der sich aus 5000 Metern Höhe vom Flugzeug in die Tiefe stürzen lässt. Wenn wir uns jedoch den Veränderungen verschliessen, die wichtig sind für uns, verweigern wir uns auch unserer persönlichen, spirituellen Entwicklung. Das Universum, davon bin ich überzeugt, belohnt die Mutigen. Der Weg geht da lang, wo die Angst sitzt.
Eduschka - 11. Mai, 11:46

Gestern habe ich über Kategorien nachgedacht. Ich bin schon lange Vegetarierin, nicht aus tierschützerischen Gründen, sondern weil ich den Geschmack von Fleisch nicht mag. Für Bratwüste, – noch besser: Currywürste – hegte ich allerdings schon immer eine heimliche Vorliebe. Eine Leidenschaft, die ich aus Glaubwürdigkeitsgründen lange unterdrückt hielt. Schliesslich war ich doch Vegetarierin! Über Jahre hinweg fand also kein einziges Nahrungsmittel aus Tierdärmen den Weg in meinen Verdauungstrakt. Vor nicht allzu langer Zeit war dann für mich der Zeitpunkt gekommen, um meinem selbst auferlegten Wurst-Embargo ein Ende zu setzen. Seither stehe ich uneingeschränkt hinter meiner Leidenschaft für Wurstwaren. Ein Befreiungsschlag! Nun erzähle ich jedem, der es hören will, dass ich eine Würste essende Vegetarierin bin. Die meisten Reaktionen darauf sind belustigt-empört, «ausgerechnet Würste!», ist der meistgehörte Ausspruch, den ich mir anhören muss. Doch niemand käme ernsthaft auf die Idee, mich für unglaubwürdig zu erklären. Ist es nicht ein eigentliches Merkmal des Erwachsenswerdens, dass wir fähig werden, unsere selbst auferlegten Fesseln zu sprengen? Gelingt es uns erst mit einer gewissen Reife, auch vermeintliche Widersprüche in unser Selbstbild zu integrieren?
Als Teenager, auf der Suche nach einer eigenen Identität, denken wir in sehr ausschliesslichen Kategorien. Vom Kleidergeschmack über die Musikvorliebe bis zum Menschen an unserer Seite muss das Bild «stimmig» sein, passend zu der Subkultur, der wir angehören. In der unbeschreiblich grossen Auswahl an Möglichkeiten, zu was für Menschen wir werden könnten, bieten Kategorien eine erste Orientierung. Sie verraten uns ganz grundsätzliche Dinge über unsere Vorlieben und Abneigungen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Ehrlichkeit gegenüber sich selbst. Nur wer konsequent diesem ganz spezifischen «Ich-Gefühl» folgt und ihm Glauben schenkt, kommt sich einen Schritt näher. Auf diese Erfahrungswerte können wir dann später aufbauen. Da hat es die Bedeutung einer Zeitenwende, wenn wir uns von diesen ausschliesslichen Kategorien verabschieden und zum Feintuning übergehen können. Die Kategorien haben uns grossen Dienst erwiesen, doch nun können wir uns von ihnen verabschieden, weil sie überflüssig geworden sind. Das ist dann der Zeitpunkt, an dem wir das Wurstessen wieder aufnehmen. Oder wieder mit dem Volleyball spielen anfangen, obwohl wir es in Teenagerjahren für uncool hielten. Manche finden den Weg zurück auf den Klavierhocker oder in die Kirche. Die Arbeit am Feintuning beinhaltet aber auch, Dinge zu sagen, wie kürzlich meine Freundin Eremita: «Ich stehe auf lautmalerische Ausdrücke in Gedichten.» Oder: «Mein Hobby ist es, auf meinem Nachhauseweg Telefongespräche zu führen.» Es ist die Arbeit am Detail, die Suche nach den ganz spezifischen Vorlieben, die Geschmack und Stil vielleicht letztendlich sogar ausmachen.
Im Alltag reicht die Zeit für Nuancen allerdings meistens nicht. So sage ich Fremden gegenüber auch weiterhin, dass ich Vegetarierin bin, obwohl das genau genommen nicht mehr stimmt, und auch das Label der Nichtraucherin hefte ich mir an, obschon ich dem Genussrauchen nicht abgeneigt bin. Erst wenn mit einem Menschen eine gewisse Vertrauensbasis erreicht ist, zeigen wir uns mit all unseren Facetten. Vielleicht erkennen wir einen Menschen nur dann wirklich, wenn wir ihn in all seinen Facetten begriffen haben. Und spätestens dann wird es für uns unmöglich, ihn mit einer Kategorie abzuspeisen. Genauso wie es mittlerweile auch für uns selbst unmöglich geworden ist, uns selbst in eine Kategorie zu quetschen. Dafür sind sie einfach zu eng, diese Schubladen. Meine Persönlichkeit hat keinen Platz mehr darin.
Eduschka - 8. Mai, 13:31
Was macht ein Date eigentlich zu einem richtig guten Date? Was diese Frage betrifft, scheint es eine kollektive Bildsprache zu geben, der sich Filmregisseure immer wieder gern bedienen - ganz ungeachtet der Tatsache, ob sie den Praxisbeweis in der Realität erbringen. In erschreckend vielen romantic movies kommt nämlich irgendwann die Szene, in der das Paar bei seinem ersten Date völlig selbstvergessen aus der Kinovorstellung schlendert und dabei angeregt über den Filminhalt diskutiert (neulich gesehen in: «Bodyguard») Dabei gehört das Kino-Date doch nun wirklich ins Reich der Teenagertage! Das war damals, als wir ungestört knutschen wollten und nicht wussten, wohin wir gehen sollten. Heute haben wir andere Ansprüche, wir möchten die Person kennen lernen, die ein potentieller Anwärter auf den Platz an unserer Seite ist, wir möchten etwas über ihre Ansichten vom Leben hören, über ihre Pläne, ihr Denken und Handeln. Im Kinosaal ist das beim besten Willen nicht möglich. Aber schon klar, die Idee dahinter leuchtet natürlich ein und ist auch gut nachvollziehbar: Man sehnt sich nach einen Rahmen, nach etwas, das einem Halt gibt in einer ungewohnten Situation, die unter Umständen auch von Angst und Unsicherheit begleitet sein kann. Viele machen deswegen den Kardinalfehler: Sie gehen zusammen essen. Schliesslich kann man da gut reden. Ganz ganz schlecht! In einem noblen Restaurant kann nichts über die eigene Unsicherheit hinwegtäuschen, ausserdem kommt in dieser eh schon verkrampften Atmosphäre noch die Angst hinzu, sich nicht zu benehmen wissen, zu kleckern oder den Wein zu verschütten. Ausserdem: Wer hat schon wirklich Hunger beim ersten Date.
Was macht ein Date also letztendlich zu einem richtig guten Date? Natürlich ist es die Magie zwischen zwei Personen. Wenn man sich ineinander wieder erkennt, gemeinsame Vorlieben entdeckt, wenn etwas korrespondiert, widerhallt, wenn da plötzlich eine Ahnung im Raum steht, dass dieses Gespann Potential haben könnte. Die Möglichkeit muss Raum haben, dass diese zwei Personen sich eine Welt mit ihren ganz eigenen Gesetzmässigkeiten erschaffen könnten. Bei mir persönlich zum Beispiel ist es immer ein gutes Zeichen, wenn ich Lust habe, ganz viel von mir zu erzählen, ganz viel von mir preis zu geben. Wenn ich einfach plappern kann und es kommt etwas zurück. Dann weiss ich, dass etwas ganz Grundlegendes gegeben ist: Die Gesellschaft meines Gegenübers hat eine anregende Wirkung auf mich.
Eine solche situative Magie hat es ziemlich schwer, wenn sie in vorgefertigte Muster wie ein Dinner à deux gepresst wird, weil die Erwartungen viel zu überfrachtet sind. Die eingangs erwähnten kollektiven Bilder haben sich in unser Unterbewusstsein eingenistet und quälen uns aus der Tiefe. Wahrscheinlich zeigt sich die Magie in den gewöhnlichsten, alltäglichsten Situationen. Dann fühlt sie sich erwünscht und kann auf fruchtbaren Boden fallen. Auch hier können wir auf ein paar Leinwandbeispiele zurückgreifen, denn ein paar Regisseure haben es tatsächlich gewagt, ein realistischeres Bild des Sich-Näherkommens zu zeichnen. Die Szene in «Good Will Hunting» zum Beispiel, wo Minnie Driver und Matt Damon zuerst in einem Spielwarenladen herumstöbern und dann Burgeressen gehen. Die witzig-kecke Minnie Driver spricht den hochbegabten Raufbold direkt darauf an, er erhoffe sich von diesem Date bestimmt ein sexuelles Abenteuer. Er erwidert darauf, dass er zumindest einen Kuss schon erwartet habe. Sie: «Warum bringen wir es nicht gleich hier hinter uns?» Daraufhin küssen sie sich, in einem Fast-Food-Restaurant mit Neonlicht, beide noch mit Burgerresten im Mund… herrlich romantisch.
Oder die Szene in «Reality Bites», in der Ethan Hawks und Wynona Rider stundenlang durch die Stadt streifen, mit einem Kaffeebecher in der Hand und einfach nur über Gott und die Welt plaudern. Er sagt dann: «Was braucht es eigentlich mehr, ein paar Zigaretten, einen Becher Kaffee und eine gute Unterhaltung.» Schön! Generell glaube ich, dass jene Dates die besten sind, bei denen man etwas zusammen unternimmt.
Am Brillantesten wurde diese Form des sich Kennenlernens in «Before Sunrise» umgesetzt. Legendär, wie sich Ethan Hawks und Julie Deply zufällig in einem Zug kennen und anschliessen das nächtliche Wien zusammen erkunden. Ein Film voller kleiner poetischer Höhepunkte, voller Welt- und Lebensweisheiten. Weil sie kein Geld mehr haben, erbetteln sie bei einem Barkeeper eine Flasche Wein und versprechen, das Geld per Post zu schicken. Zwei Menschen, eine Flasche Rotwein und ein gutes Gespräch: Manchmal braucht es nur wenig, damit ein Date zu einem wirklich guten Date wird.
Eduschka - 29. Apr, 13:31
Wir Schweizer haben ja bekanntlich ein hochgradig pathologisches Verhältnis zu unserer Agenda. Manchmal nimmt dieser Wahn schon beinahe kultische Ausmasse an. Das fängt allein schon bei der Verfügbarkeit an: Gewisse Leute haben ihre Agenda – ob sie nun im Ausgang sind oder beim Kaffeeklatsch – einfach immer dabei. Kommt man zufällig auf Daten für Geburtstagsfeste, Konzerte oder den Töpferkurs zu sprechen, wird das Fetischobjekt blitzschnell auf den Tisch geklatscht, als hätte man sich untereinander abgesprochen. Mit religiösem Eifer blättern die Agenda-Fetischisten darin, als gelte es einen Contest zu bestehen. Ein Hauch Unterwürfigkeit liegt in ihrer Stimme, wenn sie sagen: «Ich muss zuerst in meiner Agenda nachschauen.» Spontan eine Einladung annehmen? Undenkbar. Mit der Agenda managen wir das Projekt, das unser Leben bedeutet. Sorgfältig und ordentlich notieren wir in dem kleinen Büchlein, bis wann die Abgabe der Präsentation fällig ist, in welcher KW (Kalenderwoche) der nächste Arzttermin ansteht, wann Zeit ist für Ferien, Freunde, den Geliebten. Mit einer Agenda pressen wir unser Leben in ein Raster. Wir besitzen unsere Agenden nicht, wir glauben an sie.
Die Terminfindungsplattform Doodle hat diesem Planungsfieber die Krone aufgesetzt. «Wär häts erfunde?» Richtig: Die Schweizer. Welch Überraschung. Seither wird nicht mehr nur gegoogelt, sondern vor allem gedoodelt ¬- quer durch alle Gesellschaftsschichten. Als kleine Projektmanager auf unserer ewigen Suche nach freien Zeitfenstern geben wir uns dabei oftmals der Lächerlichkeit preis. Doch wir merken es nicht, denn die Krankheit wurzelt im System. Eine Agenda hilft uns dabei, unsere Zeit möglichst nutzbringend zu gestalten. Das ist an sich ja nichts Schlechtes. Doch eine volle Agenda muss nicht unbedingt heissen, auch ein erfülltes Leben zu haben. Manche Menschen rennen von einem Termin zum nächsten, nur weil sie nicht wissen, wohin sie eigentlich wollen mit sich und ihrem Leben. Menschen in Entwicklungsstaaten besitzen keine Agenden, der Überlebenskampf lässt sich nicht in ein Zeitraster einteilen. Wir hingegen versuchen, aus dem Chaos, das unser Leben bedeutet, mundgerechte und verdaubare Häppchen zu machen ¬¬– weil wir mit so viel prallem und unverplantem Leben schlicht rettungslos überfordert wären?
Eine Agenda ist ein sehr persönliches Dokument für die Planung unserer unmittelbaren Zukunft. Sind die Tage verstrichen, werden die Einträge wertlos, der Zweck der Agenda ist erfüllt. Trotzdem haben wir darin – meistens ohne uns bewusst zu sein – Zeugnis abgelegt, wie wir unser Leben leben. Und dann auch wieder nicht. Ausser «Minigolf spielen mit Andrea» oder «Reminder: Arbeitsplan abgeben» ist das einzige, was es über unser Leben unter dem Strich zu sagen gibt. Deshalb frage ich mich manchmal, ob es nicht genauso wichtig wäre, neben der Agenda, die wir mit so viel Eifer führen, eine Art Reflexionsbuch für das hinter uns liegende anzulegen. Von Zeit zu Zeit inne zu halten sollte doch mindestens genauso selbstverständlich sein wie ein gelungenes Agendasetting. Ich jedenfalls würde gerne in einer Parallel-Agenda über mein Leben lesen: «Die ersten Krokusse spriessen im Garten.» Oder: «Ein überwältigendes Morgenrot gesehen.» Oder: «Warum können Pinguine nicht fliegen?» Denn Daten sind nur Daten. Erst wenn sie mit Sinn gefüllt werden, bekommen sie eine Seele.
Eduschka - 23. Apr, 16:29

Es ist leider eine menschliche Tatsache, dass wir unserem Glück häufig selbst im Weg stehen. Interessanterweise sind es jedoch meistens nicht die äusseren Grenzen; sondern unsere inneren Barrieren, die uns zum Verhängnis werden. Eingefahrene Denkmuster schränken unseren Handlungsradius ein, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Ob wir an eine neue berufliche Ausrichtung denken, einen Wohnortwechsel vornehmen möchten oder nur schon ganz simple, einfache Problemlösungsprozesse im Alltag anstreben… immer orientieren wir uns an anerzogenen oder gelernten Denkmustern.
Anhand des «Starbucks»-Cafés im Flughafen lässt sich das Prinzip des kreativen Lösungsprozesses wunderschön illustrieren. Der Flughafen ist ein Ort des Transits und oftmals sind Leute dazu gezwungen, langweilige Stunden in der Transitzone zu verbringen, nicht selten auch über Nacht. Besonders beliebt sind dabei die «Starckbucks»-Cafés, weil sie mit bequemen Sofas ausgestattet sind. Da diese aber eigentlich nicht zum Liegen, sondern zum Sitzen gedacht sind, krümmen sich die Reisenden jeweils zu Dutzenden in unschöner Weise darauf zusammen, um unter grösster Mühe in einen unruhigen Schlaf zu fallen. Nur ein einziger, erzählte mir ein langjähriger Flughafenmitarbeiter, kam je auf die Idee, die Sitzpolsterung wegzunehmen – denn die lässt sich ganz einfach abnehmen – und diese auf dem Boden auszubreiten… er muss geschlafen haben wie ein König.
In der Fachwelt nennt sich dieses offene, unsystematische Denken «konvergentes Denken». Konvergentes Denken ist Denken, das sich über die inneren Grenzen hinauswagt, den inneren Zensor ausschaltet. Es ist im besten Sinne kreatives Denken. Meine Freundin Lockenkopf gehört zu jenen Menschen, die dieses konvergente Denken bereits als Kind verinnerlicht haben. Das lässt sich anhand einer schönen Geschichte illustrieren: Mangels normalem Papier hat Lockenkopf einmal in der Primarschule ihre Hausaufgaben auf Packpapier geschrieben. Warum auch nicht, muss sie sich gedacht haben. Auf Packpapier lässt sich schliesslich genauso gut schreiben wie auf normalem A4-Papier, und ich muss ihr da zustimmen. Dummerweise hatte ihre Lehrerin nicht ganz so viel Verständnis für diese Art des kreativen Lösungsprozesses: Als Klein-Lockenkopf stolz ihre Hausaufgaben auf einem Fetzen Packpapier präsentierte, wurde die Lehrerin fuchsteufelswild und schleuderte ihr folgenden legendären Satz ins Gesicht: «Chaschs ja grad so guet uf Schiisiipapier schribä!» Es weiss eben nicht jeder Kreativität angemenssen zu würdigen...
Eduschka - 21. Apr, 14:34
Manche Pendler schlagen im Zug ja als erstes die Seite mit der Rubrik «Schatzchästli» auf - halb erwartend, dass sich jemand unsterblich in sie verliebt hat, während sie durchs Fenster schauten und in der Nase bohrten. Andere träumen vom grossen Lottogewinn oder dem wohlhabenden Erbonkel aus Amerika. Da nimmt sich mein kleiner Aberglauben schon etwas bescheidener aus. Ich bin nämlich komplett der Überzeugung verfallen, dass mein Leben eines Tages an einem Anschlagbrett eine entscheidende Wendung nehmen wird. Ich kann deshalb auch an keinem schwarzen Brett vorbeigehen, ohne von der unauffälligsten Annonce Notiz zu nehmen. «Druckerschwärzesüchtig!», höre ich meine Freundinnen spotten. Doch es ist nicht nur das. Jedes Mal nähere ich mich den Kleinanzeigen in der Bibliothek oder dem Quartier-Migros wieder aufs Neue in der idiotischen Annahme, eine Annonce zu erspähen, die mich richtiggehend «anspringt». Bei der sich sofort die innerliche Gewissheit einstellt: Das ist es. Doch meistens steht da ziemlicher Mist. Menschen suchen Sofas oder sammeln alte Schreibmaschinen. Solchen Kram. Vergeblich habe ich bisher auf die Anzeige mit lebensveränderndem Potential gehofft. Die Latte ist auch ziemlich hoch gesteckt. Eine Stelle auf einem Kreuzfahrtschiff oder ein freies Plätzchen in einem Schriftsteller-Häuschen in der Toskana müsste es schon sein. Irgendetwas verrücktes, nicht allzu alltägliches! Dabei habe ich früher am Schwarzen Brett meiner Schule noch nicht mal gebrauchte Schulbücher erstanden. Ich halte es wie die manischen Lottospieler, die in ihrem ganzen Leben noch nicht mal einen Fünfliber gewonnen haben: Ich bewahre mir meinen unerschütterlichen Glauben in den eigenen Aberglauben.
Erschienen im "Winterthurer Stadtanzeiger" vom 7. April 2009
Eduschka - 7. Apr, 10:27

Meine Amazonen-Freundinnen und ich werden von ganz unterschiedlichen Interessen geleitet. Im Grunde jedoch verfolgen wir alle das gleiche Ziel: Es geht uns darum, uns selbst zu verwirklichen. Es ist dieses Gefühl der Schöpfungswonne, von dem wir einfach nie genug kriegen können. Die Römerin sucht ihren Selbstausdruck in der Fotografie, die Eremitin malt Bilder und macht Improvisationstheater, Lockenkopf sprüht vor Ideen beim Basteln und Gestalten und Kaktusblüte liebt es, gemeinsam mit Kindern etwas zu erschaffen. Doch ich mag Kinder nicht besonders, ich hasse es zu basteln und fürs Malen und Theater spielen habe ich erst recht kein Talent. Dafür liebe ich schreiben und lesen.
Kaktusblüte wiederum hasst das Lesen. Sie hat ihr Lebtag noch keine zehn Bücher gelesen. Unvorstellbar für mich! Wie also finden wir gegenseitig Zugang in unsere Reiche? Kaktusblüte wird nie verstehen können, wie ich empfinden muss, wenn ich die Gesamtausgabe meines Lieblingsphilosophen Montaigne in den Händen halte, die gut 500 Seiten umfasst. Wie gut sich dieser überdimensionierte Schmöker in meinen Händen anfühlt und wie mich das plötzliche Drängen erfasst, mit diesem Buch der Bücher unter dem Arm durch die Winterthurer Marktgasse zu stolzieren. Ich bin verrückt. Aber das sind wir alle, wenn es um unsere Obsessionen geht. Es ist normal, dass es uns bewegt, wenn wir so nah an dem dran sind, was uns ausmacht.
Letzte Woche im Kellergeschoss der städtischen Bibliothek wurde mir plötzlich bewusst, dass meine Freundin Kaktusblüte, obwohl sie mich und mein Innenleben so gut kennt, keine Ahnung davon haben muss, dass ich mich in meinem Alltagsleben regelmässig an diesem Ort aufhalte. Es ist der Platz, wo Bücher aufbewahrt werden, die nicht so häufig ausgeliehen werden. Wahrscheinlich hat sie keine Ahnung, wie es dort, im Bauch der Bibliothek, aussieht, wie es riecht. Wie still es ist. Sie weiss nicht, dass die Regale bis zur Decke reichen und proppenvoll sind mit Büchern. Die Regale sind verschiebbar. Damit man zum gewünschten Regal herankommt, dreht man an einem grossen Rad. Eine Luke öffnet sich, während sich die bisherige schliesst. Meine Freundin kann nicht wissen, dass ich jedes Mal, wenn ich an diesem Rad drehe, einen Moment lang fürchte, jemanden in der sich schliessenden Luke zu erdrücken. Einen anderen Bibliotheksbesucher, der im falschen Moment geräuschlos geatmet hat. Doch betritt man erst mal die Luke, ist das alles vergessen. Auf beiden Seiten des Ganges türmen sich die Bücher meterhoch. Ein Gefühl des inneren Friedens flutet mich.
Kaktusblüte würde nicht so empfinden. Doch ich bin mir sicher, wenn ich sie mitnähme, meine Freundin Kaktusblüte, sie würde sich sehr über dieses Rad amüsieren, mit dem sich die Regale wie von Zauberhand öffnen und schliessen lassen. Von Büchern erdrückt zu werden! Auch diese Vorstellung würde sie vermutlich belustigen. Sie würde alles mit dieser kindlichen Unschuld betrachten, die denen eigen ist, die keinerlei Bezug zum Objekt haben, das sie betrachten. Und dann würde sie sich zwischen zwei Regale stellen und ich würde ganz vorsichtig am Rad drehen, bis ihre Nasenspitze fast von einem Buchrücken platt gedrückt würde. Wir würden losprusten und uns die Bäuche halten vor lachen.
Ich hätte ihr einen Ort gezeigt, der sehr viel darüber aussagt, wer ich bin. Damit hätte ich ihre Welt mit einer Erfahrung bereichert, die ohne mich nie ein Gesicht bekommen hätte. Denn genau dafür sind Freundinnen da. Sie bereichern unser Universum, lassen uns an einer Welt teilhaben, zu der wir ohne sie keinen Zugang hätten. Sie sorgen dafür, dass wir nicht so ignorant durchs Leben gehen müssen, in der Meinung, alle würden gleich empfinden. Ich bin froh, dass nicht alle meine Freundinnen Büchernarren sind. Es macht mich nicht einsam. Im Gegenteil: Es bereichert mich, meine Welt durch ihre Augen zu sehen.
Eduschka - 31. Mär, 15:49
Meine Hobbys sind Matrosenpostkarten sammeln, Fähren fahren und nachdenken. Ja, ich würde Denkarbeit tatsächlich als eine meiner Lieblingstätigkeiten bezeichnen. Doch auch wer keine heimliche Leidenschaft dafür hegt: Nachdenken ist ein fundamentales Bedürfnis des Menschen. Eine Frau, die ich kenne, muss zum Nachdenken unbedingt liegen. Wenn Mutti also wieder einmal flach auf dem Sofa liegt, spüren die Kinder intuitiv, dass jetzt ein ganz schlechter Moment ist für die geplante Papierfliegerattacke. Ich hingegen kann am Besten nachdenken, wenn ich in Bewegung bin. Auch der Philosoph Nietzsche soll einst gesagt haben: «Nur die ergangenen Gedanken haben wert.»
Ich wette, selbst Goethe hat auf der Suche nach der richtigen Formulierung ganze Wälder durchstreift! Sein ständiger Begleiter müsste demnach ein Spazierstock mit geschnitztem Löwenkopfknauf gewesen sein – jedenfalls finde ich Gefallen an dieser Vorstellung. Dichter sind doch die geborenen Spaziergänger. In der freien Natur können wir den Kopf frei machen, leer werden. Doch nicht nur das. Meistens nehmen wir einen Weg unter die Füsse, weil wir einen Weg in uns selbst zurücklegen möchten. Dieses Wissen ist uralt, bereits den christlichen Pilgern im Mittelalter ging es auf dem Jakobsweg genau darum. Sie sehnten sich nach Einkehr, was sie sich davon versprachen, war die Nähe zu Gott. Interessant dabei finde ich, dass eine Freundin von mir als Christin gerne von A nach B marschiert. Wie die Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela. Ich hingegen bewege mich lieber in einer Runde. So «umkreise» ich also das kleine Dorf, in dem ich lebe, auf einer bestimmten Route, wenn ich nachdenken möchte. Ich komme wieder an den Ursprungsort zurück, am liebsten in leicht veränderter «Form», verursacht von der getanen Denkarbeit. Dieses Rundendrehen spielt, wie ich erstaunt feststelle, in der hinduistischen und der buddhistischen Religion eine zentrale Rolle. Gläubige umkreisen auf so genannten Parikramas im Uhrzeigersinn heilige Schreine und Tempel, manchmal ganze Tage lang.
Körperliche Bewegung als Mittel zur Einkehr scheint also etwas sehr Archaisches zu sein, das wir intuitiv machen. Doch wie wir es tun, ist vielleicht kulturbedingt. Die Parikramas passen zu einer Religion mit dem Prinzip der ständigen Wiedergeburt. Der beschwerliche Pilgerweg zur heiligen Stadt hingegen ist typisch für eine Religion mit dem Prinzip von Leiden und Erlösung. Und die Frau, die zum Nachdenken auf dem Sofa liegt?! Wahrscheinlich ist sie Anhängerin der Chiller-Kultur, und ich als Pantoffelheldin habe noch einiges von ihr zu lernen!
Eduschka - 30. Mär, 11:02