Freitag, 17. September 2010

Weibsgeschichten - keck, ironisch, hundsgemein

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Im Bistro Dimensione Winterthur liest Edita Truninger (Winterthur) zusammen mit Sabine Eva Rädisch (Regensburg, D) Erzählungen aus dem weiblichen Blickwinkel. Mit einem harmlosen Kaffeekränzchen haben diese allerdings nicht viel zu tun, denn: Bei den Weibsgeschichten geht es durchaus handfest zu. Da wird erzählt von Zwängen und Leidenschaften, tattoo-geschmückten Hinterteilen und weiblicher Lust – und der List, wie sie IHN wohl am besten um die Ecke bringt. Facettenreich und bunt, mit garantiert lachfaltenverstärkender Wirkung.

Eintritt frei - Kollekte
«Weibsgeschichten! Keck, ironisch, hundsgemein»
19. September, 19 Uhr
Bistro Dimensione Winterthur

Dienstag, 14. September 2010

Spätentdeckerinnen

Manchmal müssen gewisse Facetten unserer Persönlichkeit lange im Dunkeln harren. Das kann so weit führen, dass wir uns ihrer nicht mal selbst bewusst sind. Erst, wenn sich die Lebensumstände ändern - zum Beispiel, wenn der Partner stirbt – eröffnen sich neue Räume. Der Tod ordnet alles neu. Am Flughafen mache ich immer wieder erfrischende Bekanntschaften mit solchen typischen «Spätentdeckern». Überdurchschnittlich häufig sind es ältere Damen, die ihr Leben lang der Familie gedient haben und erst spät noch die Abenteuerlust in sich entdecken. Und dann ausbrechen, aus dem Reisen eine Passion machen. Gibt es eine bessere Verjüngungskur als das Reisen? In lebendiger Erinnerung bleibt mir die Frau, die mit 90 immer noch munter um die Welt reist. An ihrem 90. Geburtstag habe sie in Barcelona getanzt, erzählt sie mir stolz, und ihre nächste Reise führe sie nach Frankreich ins Männerkloster... Über soviel Unternehmungsgeist in diesem hohen Alter kann ich nur staunen. Oder die ältere Dame auf dem Weg nach Jeddah, die ihren Mitbewohnern im Innerschweizer Altersheim den Rücken kehrt, um in Gassen mit arabischen Türmchen um Gewürze zu feilschen. Sie habe ihren Mitbewohnern bis zum letzten Moment verschwiegen, dass sie wieder fahre. Ihr Geburtstag im Mai feiere sie aus Prinzip nicht daheim. Dass man sogar noch aus dem Altersheim heraus in den Orient reist, finde ich klasse. Ich bewundere diese Frauen für ihren Mut, sich trotz körperlichen Limitierungen nicht vom Reisen abzuhalten. Zudem lassen sie in mir die Überzeugung heranreifen, dass Frauen in Wirklichkeit viel abenteuerlustiger sind als Männer. Spät entdecken, ich erahne es, muss ganz besonders lustvoll sein.

Montag, 30. August 2010

Erst lachen, dann küssen

amazonen_negativEin Verehrer meiner Freundin Kaktusblüte arbeitet in einer Bar. Neulich beklagte sie sich: «Er steckt mir jeweils ganze Christbäume in meinen Drink, weil er nicht weiss, wie er mich sonst beeindrucken soll.» Damit meinte sie die dekorativen, glitzernden Strohhalme in Longdrinks. Gleichzeitig betont Kaktusblüte unter Freundinnen oft, dass ein Mann ihr sehr überzeugend glaubhaft machen muss, dass er sie begehrt. Nichts da mit Wischiwaschi-Geplänkel! Im Balztanz der Geschlechter gelten Hinhaltetaktiken oder Zögerlichkeiten gemeinhin als Liebeskiller. Ist es offensive Eindeutigkeit etwa genauso? «Da ist einfach jegliche Spannung weg», jammert Kaktusblüte. Und ich frage mich: Wie, um Himmels Willen, wollen wir eigentlich erobert werden?

Eine kleine Umfrage unter meinen Single-Freundinnen ergab folgendes: Die Römerin wird bei kreativer Umwerbung schwach, für Kaktusblüte sind ehrlich gemeinte Komplimente wichtig und die Eremitin stört sich grundsätzlich am Begriff «Eroberung»: «Erobern beinhaltet eine Art von Besitztum.» Fest steht schon mal: Wenn es ums Begehrtwerden geht, möchten Frauen wie wir als Subjekte betrachtet werden. Und FRAUEN WIE WIR haben ein sehr feines Sensorium dafür, wann Männer uns stattdessen als Objekte ansehen. «Wenn ich merke, er ist nur an mir interessiert, weil er meine Brüste toll findet und ich gerade verfügbar bin, hat er sich jegliche Glaubwürdigkeit verspielt», sagt die Eremitin. Wonach wir uns wirklich sehnen, ist der Blick in Ausschnitt UND Seele, der ganzheitliche Blick, der uns im 360-Gradwinkel erfasst.

Doch leider gibt es immer noch viel zu viele Männer, deren Balzverhalten einstudiert wirkt. So hat sich auch Kaktusblütes Kandidat brav und drehbuchkonform gemerkt, dass sie einen Opel Corsa fährt. Er war sich auch nicht zu schade, dieses Detail fast unbemerkt in ein Gespräch einfliessen zu lassen, in der Hoffnung, sie möge erkennen, was für ein bemerkenswert guter Zuhörer er doch sei. In den Augen von Kaktusblüte wirkte das sehr kontraproduktiv: «Es hat mir gezeigt, dass er nichts begriffen hat. Ich lege auf solche Dinge überhaupt keinen Wert. Mir ist es völlig gleichgütig, ob ich einen Opel Corsa fahre oder einen Seat. Das sagt rein gar nichts aus über meine Persönlichkeit.»

Das Geheimnis ist wahrscheinlich, dass wir uns fürs Anbaggern unmöglich eine Strategie zurechtlegen können. Hat ein Mann ein ehrliches Interesse an einer Frau, wird er ganz intuitiv spüren, welche Interessen diese Frau hat, worüber sie sich freut, worüber sie lacht oder wer ihre Freunde sind. Eigentlich ist das nicht anders als bei jeder anderen menschlichen Begegnung. Mit manchen Menschen kommt man nun mal ganz leicht und wie selbstverständlich auf eine darunter liegende Ebene, während man mit anderen ewig an der Oberfläche herumdümpelt und sich hinter Masken versteckt. Der einzige Unterschied zwischen dem Balztanz und einer «normalen» Begegnung ist die erotische Anziehungskraft.

Und eines, eines darf man auf dem steinigen Weg der Liebeswerbung auf keinen Fall vernachlässigen: Den Humor. Frauen lachen gern. Bereits Jerry Lewis wusste: «Mit Humor kann man Frauen am leichtesten verführen, denn die meisten Frauen lachen gerne, bevor sie anfangen zu küssen.» Wollt ihr also eine Frau küssen, liebe Männer, bringt sie zum Lachen. Bei einem Mann mit klugen Humor wird jede Amazonen-Frau schwach.

Dienstag, 24. August 2010

Weibsgeschichten - keck, ironisch, hundsgemein

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Im Bistro Dimensione Winterthur liest Edita Truninger (Winterthur) zusammen mit Sabine Eva Rädisch (Regensburg, D) Erzählungen aus dem weiblichen Blickwinkel. Mit einem harmlosen Kaffeekränzchen haben diese allerdings nicht viel zu tun, denn: Bei den Weibsgeschichten geht es durchaus handfest zu. Da wird erzählt von Zwängen und Leidenschaften, tattoo-geschmückten Hinterteilen und weiblicher Lust – und der List, wie sie IHN wohl am besten um die Ecke bringt. Facettenreich und bunt, mit garantiert lachfaltenverstärkender Wirkung.

Eintritt frei - Kollekte

«Weibsgeschichten! Keck, ironisch, hundsgemein»
19. September, 19 Uhr
Bistro Dimensione Winterthur

Montag, 23. August 2010

Das Goldschmiedmädchen

Den Sommer am Flughafen zu verbringen ist seltsam: Zuerst schwärmen die Menschen scharenweise aus, angefüllt mit Enthusiasmus und Entdeckerfreude zieht es sie in die Welt hinaus, und kaum sind sie weg, setzt bereits wieder der Rückreiseverkehr ein. Die Zahl allein reisender Kinder ist während dieser Zeit besonders hoch. Sie werden vom Bodenpersonal an der Flugzeugtüre abgeholt und zu den ungeduldig wartenden Eltern in die Ankunftshalle gebracht. Manche Kinder sind ruhig und eingeschüchtert, andere plappern drauflos; doch eines ist allen gemeinsam: Sie lieben Eiscrème. Wenn die Betreuerin oder der Betreuer einen besonders guten Tag hat, dürfen die Kinder bei mir eine Kugel Eiscrème kaufen. Salome, ein blondes, braungebranntes Mädchen mit einem sommerspossigen Gesicht, hat sich für Erdbeereis entschieden. Die 10-Jährige Salome hat die langen Ferien auf Korfu verbracht. Ihre Eltern sind geschieden, ihr Vater hat sich auf der griechischen Ferieninsel niedergelassen, wo er als Gold- und Silberschmied arbeitet. Der Goldschmied-Papa unter der Sonne der Ägäis... was für ein Sinn für Ästhetik diesem Mädchen bereits mit auf den Weg gegeben wird! Sie habe auch schon selber ein Schmuckstück anfertigen dürfen, erzählt sie stolz und streckt mir zum Beweis ihre Hand hin, an dessen Ringfinger ein einfacher Silberring steckt.

Bei näherer Betrachtung ist es nicht erstaunlich, dass ich Gold und einen sonnenhellen Ort ganz intuitiv als passend empfinde. Der Glaube an Gold war kulturgeschichtlich gesehen zunächst der Glaube an die Sonne. Typische Goldregionen sind Schwarzafrika, Indien oder Thailand. Silber hingegen ist das meist verwendete Schmuckmaterial des gesamten Maghrebgebietes und überhaupt der islamischen Welt. «Häufig waren Münzen das Ausgangsmaterial», belehrt mich Salome. Doch eigentlich gibt es kaum ein Werkstoff oder ein Material, das nicht irgendwo auf der Welt von Menschen zu Schmuck verarbeitet worden ist. (Klever, S. 31) Pflanzen sind das ursprünglichste Schmuckmaterial, und ich muss an die Kronen aus Gänseblümchen denken, mit denen wir uns als Kinder gegenseitig gekrönt hatten. Naturvölker verwenden oftmals Vogelfedern oder Muscheln, um sich zu schmücken. Die Menschen der Hochkulturen jedoch betrachten eher Edelmetalle und Edelsteine als die wichtigsten Schmuckrohstoffe.

Schmuck ist gesellschaftliche Kommunikation. Er verschönert den Träger nicht nur, sondern sagt etwas über ihn aus, insbesondere über dessen Stellung in der Gemeinschaft. Je üppiger sich ein Stammesmitglied schmückt, desto weniger muss der Trägerin oder der Träger in der Regel arbeiten. Die Übergänge vom Ästhetischen zum Magischen sind fliessend. «Wer sich eine durchlochte Muschel um den Hals hängt oder eine Feder ins Haar steckt, kann sich damit zugleich schöner und stärker machen.» (Klever, S. 9) Gerade bei Naturvölkern haben viele Schmuckstücke Amulettcharakter. Sie beschützen den Träger vor bösen Geistern; eigentlich sind sie Ausdruck für ein Gebet. (Klever, S. 16)

Salome überrascht mich erneut, als sie plötzlich eine filigran verzierte Schmuckschatulle anfasst, die an einem Lederband um ihren Hals baumelt. «Eigentlich bräuchte ich die jetzt nicht mehr. Ich bin ja fast daheim.» Meine Neugierde ist grösser als meine Höflichkeit und ich bitte sie, mir den Inhalt der Büchse zu zeigen. Vorsichtig öffnet sie die Schatulle, und ein kleiner ovaler Türkisstein kommt zum Vorschein. «Der Türkis, der Stein der Himalayaländer, ist Buddah geweiht. Er ist einer der ältesten Schmucksteine der Welt», doziert Salome und ich versuche zu begreifen, dass dieses 10-jährige Mädchen gerade das Wort «Buddha» in den Mund genommen hat. «Mein Vater ist auf Türkisschmuck spezialisiert», sagt sie leichthin. «Und die Schatulle?», frage ich ungläubig. «Das ist eine Amulettbüchse. Darin befindet sich eigentlich eine Art magischer Schutzbrief, ein Papierstück mit religiösen Inschriften. Kein Tibeter oder Ladakhi würde ohne eine oder mehrere Amulettbüchsen auf eine Reise gehen.» Ich bin erst mal platt und stammle : «Und die trägst du immer um deinen Hals, wenn du reist?» Salome zuckt mit den Achseln. «Nein, eigentlich nicht. Aber mein Papa hat sie mir mitgegeben. Wahrscheinlich stand sie zu lange im Laden herum.»

Salomes überwältigendes Wissen auf dem Gebiet des Schmucks ist etwas irritierend, und trotzdem gefällt mir, was sie von der alten Tradition der Tibeter erzählt hat. Viele Leute leiden unter Reisepanik. Sie sehen sich plötzlich auftretenden Urängsten ausgeliefert, kurz bevor sie eine Reise antreten. Etwas in ihnen sträubt sich mit aller Kraft gegen die bevorstehende Reise. Meine Mutter reist fürs Leben gerne, aber jedes Mal beschwört sie mich kurz vorher, sie diese Reise unter keinen Umständen antreten zu lassen. Eine Amulettbüchse würde einer von Reisepanik befallenen Person ein Gefühl der Sicherheit und Stärke vermitteln. «Warst du denn schon einmal in Tibet oder Ladakh?», frage ich Salome. Mittlerweile würde mich bei diesem Mädchen nichts mehr überraschen. «Nein, natürlich nicht. Dafür bin ich doch noch viel zu klein. Aber Papa hat mir viel davon erzählt. Weisst du, was in der Mongolei oder Tibet sehr teuer ist?» Ich verneine kopfschüttelnd. «Korallen, weil das Meer so weit weg ist und sie auf langen Wegen über das Gebirge gebracht werden müssen. Und ich habe auf Korfu beim Schnorcheln mit meiner Freundin Anita fast jeden Tag Korallen gesehen!»

Ich denke über die Bedeutung von Schmuck in unserer heutigen Zeit nach. «Schmuck» kommt von «schmücken». Wir schmücken uns, um zu gefallen. Das hat sich über Jahrhunderte hinweg nicht verändert. Im Unterschied zu den Naturvölkern schmücken wir uns jedoch kaum, um uns vor bösen Geistern zu schützen. Trotzdem kann das Tragen eines Schmuckstücks noch heute einem Gebet gleichkommen. Schliesslich tauschen Mann und Frau nach wie vor Ringe, wenn sie sich die ewige Treue schwören. Es gibt Familienringe oder Siegelringe, die Zugehörigkeit zu einer bestimmen Gruppe oder Gemeinschaft ausdrücken. Junge Männer oder Frauen bekommen zur Konfirmation oder Firmung eine Uhr geschenkt. Ja sogar kleinen Kindern werden bereits Bernsteinketten umgehängt, weil das angeblich gegen die Schmerzen hilft, die auftreten, wenn sie die ersten Zähne bekommen. Jedem grossen Moment in unserem Leben wird mit einem besonderen Schmuckstück zusätzliche, weihevolle Bedeutung verliehen, wobei auch die Beständigkeit von Edelmetallen eine grosse Rolle spielt. Schmuckstücke sind ein Statement, eine Art persönliches Manifest. Der Symbolcharakter ist aus dem Schmuckatelier jedenfalls nicht wegzudenken, so wenig wie aus dem Tattoo-Studio: Wir leben in einer mit Tätowierungen überschwemmten Gesellschaft, und viele der Tattoos haben für den Träger eine ganz bestimmte, sehr individuelle Bedeutung. Die Tatsache, dass Tätowierungen nur mit grossem Aufwand wieder zu entfernen sind, verstärken ihre hohe symbolische Bedeutung noch. Bei näherer Betrachtung ist unsere eigene Kultur also gar nicht so arm an Schmucktraditionen, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte.

Unter diesen Gesichtspunkten wird der Gold- oder Silberschmied zu so etwas wie einem Zauberkünstler, einem Magier oder Priester. Sein Handwerk hat sich in 3000 Jahren nur wenig geändert. Es ist genauso beständig wie das Material, mit dem er arbeitet. Auch weltweit gibt es kaum lokale Unterschiede in der Verarbeitung. Die Arbeit mit Hammer und Amboss bleibt immer dieselbe, egal ob ein Schmuckhersteller am Rande der Sahara lebt, in den Bergwäldern von Thailand, in Kabul oder Damaskus oder in den Dschungeldörfern Borneos. (vgl. Klever, S. 51) Sein Ansehen ist jedoch nicht überall so hoch wie bei uns: In Afrika wird die Berufsgattung der Schmiede manchmal missachtet, aber immer gefürchtet. Bei den Tuaregs wird nur untereinander geheiratet, Schmiede wohnen ausserhalb der Gemeinschaft. Auch bei den Massai leben die Schmiede ausserhalb der Gemeinschaft, sie gelten als unrein. (vgl. Klever, S. 51) Ich hingegen bin völlig vorurteilsfrei und seit der Begegnung mit dem Goldschmiedmädchen überzeugt davon, dass Salomes Vater das goldene Los gezogen hat: Auf einer griechischen Insel im Ionischen Meer filigran verarbeitete Schmuckstücke herzustellen, mit dem tiefblauen Meer direkt vor der Werkstatttüre und 3000 Sonnenstunden im Jahr... was für ein sinnliches, inspirierendes Leben!


Quelle: Katrin & Ulrich Klever, Exotischer Schmuck, Mosaik Verlag

Freitag, 20. August 2010

Vom Glück der Piano-Kinder

amazonen_negativ Die Eremitin und ich haben einmal gemeinsam Vietnam bereits und abgesehen davon, dass es in Vietnam beeindruckend guten Kaffee gibt, haben mir auch die kleinen Balkon-Restaurants mit den bunten Lampions gefallen, die hoch oben wie Vogelnester an den Hausfassaden kleben. Dort kann man dann stundenlang sitzen und das Gewimmel der Leute beobachten, die unten durch die Gassen strömen. In so einem Café haben wir eines Abends einen weitgereisten Geschäftsmann kennen gelernt, der in Vietnam medizinische Geräte für Krankenhäuser abzusetzen versuchte. Er hat uns auch von TV-Kochshows erzählt, in denen nackt moderiert wird; überhaupt hat er sehr viel erzählt. Ich fand ihn aufgeblasen, grosskotzig und arrogant. Das Dumme ist, dass solche Menschen manchmal eine Faszination auf uns ausüben, der wir uns nicht entziehen können, selbst wenn wir es wollen. Im Grunde war er vermutlich ein armes Schwein, so ganz allein und weit weg von Zuhause. Doch eines musste man ihm lassen: Sein Horizont war weit, und er wusste viel. Und er hatte sich seine eigenen Gedanken gemacht. Er war keiner, der nachplappert. Ob uns schon einmal aufgefallen sei, dass Lehrer, überhaupt mit dem Intellekt arbeitende Menschen, immer einen Volvo fahren würden? «Smart guys drive safe cars», brachte er es auf den Punkt. Die Eremitin und mich hat das sehr beeindruckt. Wir hätten nie gedacht, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Marke eines Autos und der intellektuellen Fähigkeit seines Fahrers.

Die Eremitin und ich sind seinem Beispiel gefolgt und haben ebenfalls eine Theorie entwickelt, die in eine ähnliche Richtung geht. Sie lautet: Es gibt einen unleugbaren Zusammenhang zwischen der Herkunft eines Menschen und dem Vorhandensein eines Pianos in dessen Elternhaus. Das Piano ist die kritische Grösse, es teilt uns Menschen in zwei Kategorien: Ein Piano im Haus bedeutet Büchergestelle mit dicken Lexikabänden, Eltern die Wein aus bauchigen Gläsern trinken und schmeichelnde Pianoklänge, die durch die luftigen Korridore wabern. In Haushalten von Arbeiterfamilien hingegen steht kein Piano. In erster Linie weil keiner die Zeit fürs Spielen findet. Zudem ist es meistens eng in solchen Wohnungen, und angesichts des vielen Raumes, das so ein Piano einnimmt, ist daran nicht zu denken. Die Eremitin und ich sind – wen wunderts - beide ohne Piano aufgewachsen. Das ist vermutlich auch der Grund, warum wir klugen Schwätzern gegenüber viel nachsichtiger sind, als sie es eigentlich verdienen würden.

Montag, 16. August 2010

Eine Ferienmaschine der anderen Art

Bald kommt sie wieder, die Zeit der Ferienrückkehrer. Einem typischen Ferienflieger entsteigen in Zürich-Kloten Ehepaare im mittleren Alter mit Bäuchlein und Sonnenbrand, leicht bekleidete Frauen mit Silikonbrüsten, Männer in Schweizerkreuz-T-Shirten, Kleinfamilien mit Kindern, die den Sandeimer noch hinter sich herschleifen, grölende Strohhüte tragende Junggesellen, das «All inclusive»-Armband noch ums Handgelenk... Die allgemeine Stimmung: Satt und zufrieden. Ich stehe dort, schaue zu wie sie aussteigen und frage mich, was sie in der vergangenen Woche wohl erlebt haben, was sie gesehen haben, welche emotionalen Berg- und Talfahrten sie durchgemacht haben.

Wie gross ist da der Kontrast zu einem Ferienflieger der etwas anderen Art, den ich vor kurzem abzuholen hatte: Die Mittagsmaschine der Emirates Airlines aus Dubai mit fast 300 Passagieren, das Flugzeug ist zum Bersten gefüllt mit Familien aus den Arabischen Emiraten, Kuwait oder dem Irak. Sie sind gekommen, um der sengenden Hitze in ihren Heimatländern zu entfliehen und in der kühlen Schweiz Zuflucht zu finden, der «guten Stube Europas». Drei Frauen in langen schwarzen Gewändern mit Kopftuch und Gesichtsschleier ziehen mich ganz besonders in ihren Bann. Lernen sie sich irgendwo kennen, wissen sie ja nicht mal, wie alt sie sind, geschweige denn, wie sie aussehen, schiesst es mir durch den Kopf. Oder ist es die Stimme, die solche für uns selbstverständliche Grundinformationen vermitteln kann? Lernt man mit der Zeit, auf gewisse Zeichen zu achten?

In der Zollhalle sehe ich die drei wieder, sie sitzen auf einer Wartebank, während sich die Männer ums Gepäck kümmern. Den Schleier haben sie inzwischen abgenommen oder besser gesagt unters Kinn gezogen. Nun kann ich ihr Alter schätzen: Eine der Frauen ist jung. Sehr jung. Ein Kind tollt mit einem roten Ball herum. Die Stimmung ist unaufgeregt, leicht erwartungsvoll, aber vor allem sehr entspannt. Sie sehen aus wie Menschen, die es geniessen, für einmal ganz genau zu wissen, was sie erwarten wird. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich eigentlich gar nicht gross von den Urlaubern eines typischen Ferienfliegers. Auch sie ziehen es vor, zu wissen, was sie erwartet.

Donnerstag, 5. August 2010

Weibsgeschichten I

«Weibsgeschichten» könnten manchmal unterschiedlicher nicht sein. Das habe ich in jenem Sommer erlebt, als ich bei einem Partyservice aushalf. Ich hatte es mir immer toll vorgestellt, an Hochzeiten für die Verköstigung der Gäste zuständig zu sein, weil ich generell viel übrig habe für Partys und Feste, vor allem dann, wenn sie rauschend sind, und das sind Hochzeiten ja meistens. Mein Einstand als Partyservice-Kellnerin an einer Hochzeit war also lange herbeigesehnt. Ich weiss noch genau, es war der 7.7.2007, ein beliebtes Hochzeitsdatum, und ich stand in meiner frisch gestärkten Schürze hinter dem Apéro-Tisch, bereit, den Gästen mit dem Prosecco aufzuwarten. Die vergangenen Stunden waren an Turbulenzen kaum zu überbieten gewesen. Am Nachmittag hatte sich mein Freund von mir getrennt, ich stand, wenn nicht vor dem Nichts, so doch wenigstens vor einer neuen Identität, einem neuen Lebensabschnitt und hatte keine Zeit gehabt, das auch nur annähernd für mich zu verarbeiten. Ich war mit dem Rad den Weinberg hinaufgekeucht, wo die Hochzeitsfeier stattfinden sollte, noch ganz ausser Atem wurde ich vom Anblick des stilvollen Décors überwältigt, wo sich ein weisses Zelt an den Rebberg schmiegte, zusammen mit einem von Sonnenblumen umrankten Triumphbogen für das Hochzeitspaar. Das war der Tag meiner Trennung, und für jemand anderes war es der Tag der Vereinigung.

Ich stand also da, sah die Braut und den Bräutigam einer Kutsche entsteigen, sah die Braut gemessenen Schrittes auf mich zukommen, und je näher sie kam, desto genauer erkannte ich ihr Gesicht und desto deutlicher dämmerte mir, dass ich diese Frau kannte. Es war eine alte Schulfreundin von mir, mit der ich drei Jahre die Schulbank gedrückt hatte! Mir fiel die Kinnlade herunter, genauso wie ihr, und darauf folgte eine stürmische Umarmung. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Hier stand ich also, vor einer gescheiterten Beziehung, hatte weder Geld noch einen richtigen Job, währenddessen meine Schulfreundin in diesem Traum aus Tüll steckte und bereit war, sich zu binden, einem Mann ihr «Ja-Wort» zu geben. Bis dass der Tod Euch scheidet. Was für ein Kontrastprogramm.

Doch ich mag diese Geschichte, gerade weil sie so kontrastreich ist. Denn Kontraste bedeuten auch immer ein Maximum an Gefühl. Es war offensichtlich: Wir standen an zwei völlig konträren Punkten in unserem Leben. Chaotisch, wild und unberechenbar der eine, gesittet, ordentlich und durchdacht der andere. Dass ich mangels Besteck zu mir nach Hause beordert wurde, um gabel- und messertechnisch für Nachschub zu sorgen, weiss die Schulfreundin bis heute nicht. Ihr Hochzeitsmahl hat sie unwissentlich mit einer aus dem Chaos geborenen Gabel zu sich genommen. Ich gehe jetzt mal davon aus, dass das kein schlechtes Omen gewesen sein kann.

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edith.truninger(at)gmail.com Copyright für alle Texte bei der Autorin

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Chalid al-Chamissi
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